Jens Christoph Türp Curriculum Prothetik
Curriculum Prothetik
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Jens Christoph Türp Curriculum Prothetik

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39.9Klinik: Anprobe der Wurzelstiftkappen und des Gerüsts

39.10Labor: Zahnaufstellung in Wachs

39.11Klinik: Wachsanprobe der Aufstellung/Labor: Fertigstellung in Kunststoff

39.12Klinik: Anprobe der fertigen Arbeit, Einkleben der Matrizen, Eingliederung der fertigen Arbeit

39.13Klinik: Kontrolle, Nachregistrierung

40Einführung in die Totalprothetik

40.1Epidemiologie

40.2Folgen des totalen Zahnverlusts

40.3Geschichte der Totalprothetik

40.4Anamnese, Befund, Vorbehandlung in der Totalprothetik

40.4.1Faktoren, die den Halt einer Totalprothese beeinflussen

40.5Abformmethoden in der Totalprothetik

40.6Klinische Konzepte für Totalprothesen

40.6.1Front-Eckzahn-kontrollierte Aufstellung – sequenzielle Führung

40.6.2Merkmale des Totalprothetikkonzepts nach Gerber

40.6.3Weitere Aufstellungskonzepte

40.7Ausmodellieren der Prothesenaußenflächen

40.8Reokkludieren

40.9Einschleifen von Totalprothesen

40.9.1Einschleifen der Zentrik

40.9.2Einschleifen der Protrusion

40.9.3Einschleifen des Seitschubs nach rechts und links

40.9.4Einschleifen der Retralbewegungen

40.10Nachsorge

40.11Klinische Studien

40.11.1Knochenabbau

40.11.2Zufriedenheit und Behandlungsbedarf

Literatur

41Totalprothetik: Klinischer und labortechnischer Ablauf

41.1Einleitung

41.2Klinik: Situationsabformung

41.3Labor: Herstellen von Situationsmodellen und individuellen Abformlöffeln

41.4Klinik: Löffelanprobe, Randgestaltung, modifizierte mukostatische Abformung

41.4.1Randgestaltung

41.4.2Abformung

41.5Labor: Herstellung der Meistermodelle und Registrierschablonen

41.5.1Modellherstellung

41.5.2Herstellung der Registrierschablonen

41.6Klinik: Vertikale Kieferrelationsbestimmung und zentrisches Wachsregistrat

41.7Klinik/Labor – Sequenziell geführte Prothesen: extraorale Registrierung, definitives Einartikulieren der Meistermodelle

41.7.1Montage des Oberkiefermodells

41.7.2Montage des Unterkiefermodells

41.8Klinik/Labor – Gerber-System: extraorale Registrierung, definitives Einartikulieren der Meistermodelle, horizontale Kieferrelationsbestimmung

41.8.1Vorbereitung des Artikulators

41.8.2Provisorisches Einartikulieren

41.8.3Herstellung der Registrierbehelfe

41.8.4Extraorale Registrierung

41.8.5Einartikulieren des Unterkiefermodells

41.8.6Horizontale Kieferrelationsbestimmung

41.8.7Einartikulieren des Oberkiefermeistermodells

41.9Klinik: Frontzahnauswahl

41.10Modellanalyse, Frontzahnaufstellung in Wachs

41.11Klinik: Registratkontrolle, Anprobe der Frontzahnaufstellung

41.12Labor: Seitenzahnaufstellung in Wachs, Ausmodellieren der Wachsaufstellung

41.13Klinik: Gesamtanprobe in Wachs

41.14Labor: Einbetten, Pressen des Kunststoffs, Polymerisieren, Reokkludieren, Ausarbeiten

41.14.1Einbetten der Wachsaufstellung

41.14.2Ausbrühen und Vorbereiten der Küvette zum Kunststoffpressen

41.14.3Kunststoffpressen

41.14.4Reokkludieren

41.14.5Ausarbeiten der eingeschliffenen Prothesen

41.15Klinik: Anprobe der fertigen Prothesen, Patienteninstruktion

41.16Klinik: Nachregistrierung intra- und extraoral

41.17Labor: Remontage, Einschleifen

41.18Nachsorge, Unterfütterung

41.19Digitalisierung der Herstellung von Totalprothesen

Literatur

42Einführung in die dentale Implantologie

42.1Einleitung

42.1.1Was ist ein dentales Implantat?

42.1.2Warum wünschen Patienten Implantate?

42.1.3Implantate aus zahnärztlicher Sicht

42.2Indikationsstellung

42.2.1Differentialindikation zwischen konventionellem und implantatgetragenem Zahnersatz

42.2.2Festsitzender implantatgetragener Zahnersatz

42.2.3Implantatgetragener abnehmbarer Zahnersatz

42.2.4Verkürzte Zahnreihe

42.2.5Tertiärprophylaxe – Erhalt oraler Strukturen

42.2.6Differentialtherapeutische Abwägungen

42.3Implantatsysteme

42.3.1Überlebensraten der Implantate bei schmalen und kurzen Implantaten

42.3.2Merkmale der Implantat-Abutment-Verbindung

42.3.3Beispielhafte Darstellung unterschiedlicher Implantatsysteme

42.4Versorgungskonzepte

42.4.1Einzelzahnersatz

42.4.2Multipler Zahnersatz im Lückengebiss

42.4.3Stark reduziertes Restgebiss

42.4.4Zahnloser Kiefer

42.5Biomechanische Aspekte bei der Versorgung von Implantaten

42.5.1Kaukräfte

42.5.2Überbelastung von Implantaten

42.5.3Verblockung von Implantaten

42.5.4Kronen-Implantat-Verhältnis

42.5.5Angulierte Implantate

42.5.6Funktionelles Zusammenspiel osseointegrierter Implantate und deren Restaurationen mit natürlichen Zähnen

42.5.7Okklusionskonzepte in der Implantologie

Literatur

43Implantat-Werkstoffe

43.1Anforderungen an Implantat-Werkstoffe

43.1.1Mechanische Eigenschaften

43.2Werkstoffe für dentale Implantate

43.2.1Reintitan

43.2.2Titanlegierungen

43.2.3Zirkonoxid

Literatur

44Implantologie: Klinisches und labortechnisches Vorgehen

44.1Behandlungsplanung

44.1.1Anamnese

44.1.2Festlegung des Behandlungsziels

44.1.3Röntgendiagnostik

44.1.4Bohrschablonen

44.1.5Augmentationsschablonen

44.2Implantationszeitpunkt und Belastungsprotokolle

44.2.1Zeitpunkt der Implantation

44.2.2Belastungsprotokolle

44.2.3Klinische Empfehlungen bezüglich Implantationszeitpunkt und Belastung

44.3Chirurgisches Vorgehen

44.3.1Implantation

44.3.2Freilegungsoperation

44.3.3Komplikationen

44.3.4Nachsorge

44.4Prothetisches Vorgehen

44.4.1Provisorische Versorgung

44.4.2Abformtechnik

44.4.3Klinische und labortechnische Arbeitsabläufe: Festsitzende Restaurationen

44.4.4Klinische und labortechnische Arbeitsabläufe: Herausnehmbare Restaurationen

44.5Nachsorge

Literatur

45Ursachen und Therapie der periimplantären Mukositis und Periimplantitis

45.1Einleitung

45.2Formen der periimplantären Entzündungen

45.2.1Periimplantäre Mukositis

45.2.2Periimplantitis

45.3Prävalenz der periimplantären Mukositis und Periimplantitis

45.4Mikrobiologische Aspekte

45.5Diagnostik bei Verdacht auf periimplantäre Infektionen

45.5.1Periimplantäre Sondierung

45.5.2Röntgen

45.6Prävention von periimplantären Erkrankungen

45.7Therapie der periimplantären Mukositis und der Periimplantitis

45.7.1Therapie der periimplantären Mukositis

45.7.2Nichtchirurgische Therapie der Periimplantitis

45.7.3Chirurgische Therapie der Periimplantitis

45.8Zusammenfassung

Literatur

46Nachsorge in der Prothetik

46.1Einleitung

46.2Ablauf der Anamnese und Befundaufnahme im Rahmen der Nachsorge

46.2.1Anamnese

46.2.2Befundaufnahme

46.3Therapie im Rahmen der Nachsorge

46.3.1Patientenaufklärung

46.3.2Mundhygiene-Remotivation und -Reinstruktion

46.3.3Entfernung von Plaque, Zahnstein und Konkrementen

46.3.4Zahnreinigung und Politur

46.3.5Fluoridierung

46.3.6Weitere Maßnahmen

46.3.7Festlegen eines Nachsorgeintervalls

Literatur

47Mundschutz (Zahnschutz) im Sport

47.1Einleitung

47.2Definition

47.3Indikationen

47.3.1Hauptaufgaben und Vorteile eines Mundschutzes

47.4Mögliche Nachteile eines Mundschutzes

47.5Anforderungen an einen Mundschutz

47.6Materialien

47.7Mundschutztypen und deren Herstellungstechniken

47.8Verhaltensmaßregeln und Nachsorge

47.9Schlussbewertung

Literatur

48Messung von Behandlungsergebnissen aus Patientensicht

48.1Konzept der Patientenzufriedenheit

48.2Lebensqualität und Mundgesundheit

48.2.1Allgemeiner Gesundheitsstatus

48.2.2Lebensqualität und Mundgesundheit

48.3Messung von Patientenaussagen

48.3.1Psychometrische Grundlagen

48.3.2Messung der Patientenzufriedenheit und Lebensqualität

48.3.3Messung der mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität

48.4Studien unter Verwendung patientenbezogener Messgrößen in der Zahnheilkunde

48.4.1Zufriedenheit

48.4.2Lebensqualität

48.5Zusammenfassung

Literatur

49Evidenzbasierte zahnärztliche Prothetik

49.1Hintergrund

49.2Die drei Säulen der EbM/EbZ

49.3Hierarchie der klinischen externen Evidenz

49.4Checklisten

49.5Grenzen der EbM

49.6Externe Evidenz in der zahnärztlichen Prothetik

Literatur

Sachregister Band I bis III

1Die historische Entwicklung der zahnärztlichen Prothetik

Kurt Werner Alt

„Sind die Zähne schon allein zur Erhaltung der Gesundheit wichtig, so sind sie für die Sprache, für die Aussprache und Artikulation der Worte und zur Zierde des Gesichts absolut notwendig.“

(Pierre Fauchard, 1678–1761)

1.1Einleitung

Die geschichtliche Herausbildung einer medizinischen Spezialdisziplin wie der zahnärztlichen Prothetik (Zahnersatzkunde) kann nicht ohne den Hintergrund der allgemeinen zahnmedizinhistorischen und der gesamthistorischen Entwicklung gesehen und erörtert werden. Nur eine Betrachtungsweise, die in hinreichendem Maße die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen sowie die technischen Möglichkeiten und geistigen Strömungen der jeweiligen Zeit erfasst, kann Erklärungen dafür liefern, weshalb Entwicklungen diesen oder jenen Weg nehmen, geographisch oder zeitlich beschränkt bleiben, und welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit sie sich durchsetzen und schließlich etablieren können. Die historische Beschäftigung mit den Zähnen darf sich nicht auf Fragen nach den Behandlungsmethoden, nach der Anwendung und Weiterentwicklung von Instrumenten und Materialien reduzieren, sondern sollte immer im Kontext mit den jeweiligen sozialen Verhältnissen und Lebensgewohnheiten der Menschen gesehen werden. Aus diesen Gründen muss in eine Darstellung der Entwicklung der zahnärztlichen Prothetik neben der allgemeinen Medizin- und Zahnmedizingeschichte die Kulturgeschichte angemessen eingebunden sein.

1.2Heilkunst und Kulturgeschichte

Heilkunde und Pflege, die sich aus ursprünglichen Instinkthandlungen und empirischen Wurzeln entwickelt haben, stellen einen wichtigen Mosaikstein innerhalb der kulturellen Leistungen des Menschen dar. Sie kommen universal vor, unterscheiden sich jedoch inhaltlich aufgrund differierender, kulturell determinierter Vorstellungen von Krankheit und Heilung stark voneinander. Heilhandlungen und Pflegemaßnahmen aus der Frühzeit der Menschheit können lediglich indirekt erfasst werden, und zwar zum einen über archäologische Funde und Befunde, zum anderen durch die Beurteilung und Interpretation biohistorischer Quellen. Als solche zählen die sterblichen Überreste ur- und frühgeschichtlicher Menschen, meist in Form der Überlieferung von Skelettfunden, seltener Mumien, die fast immer Hinweise zu Krankheit und Gesundheit (Paläopathologie) liefern und mitunter verschiedenartigste Spuren durchgeführter medizinischer und zahnmedizinischer Anwendungen und Therapien zeigen.

Diesbezügliche Funde und Befunde mit zahnärztlicher Relevanz reichen weit in die Menschheitsgeschichte zurück. Sie betreffen nahezu alle heutigen Arbeitsbereiche in der Zahnmedizin: Zahnchirurgie, Zahnerhaltung und Zahnprothetik. Insbesondere bei den teilweise visionär anmutenden Manipulationen, was die Behandlung von kariösen Kavitäten in den Zähnen angeht, finden sich inzwischen immer mehr direkte Beispiele im biohistorischen Fundmaterial. Zeitlich gesehen erstrecken sich die Einzelbeobachtungen von der Altsteinzeit (Paläolithikum) über die Jungsteinzeit (Neolithikum) bis in die Antike, bevor die Zahnerhaltung im 17. Jahrhundert in Mitteleuropa dann endgültig Fuß fasst (Oxillia et al. 2015, Seguin et al. 2014, Bernardini et al. 2012, Nicklisch et al. 2019). Zu den sehr frühen Fundplätzen, an denen Beobachtungen zahnmedizinischer Eingriffe an Bestattungen gemacht wurden, gehört auch ein steinzeitliches Gräberfeld in Pakistan. Dort wurden neun Individuen geborgen, deren Zähne die Spuren von Bohrungen aufwiesen, die im Zeitraum zwischen 7.500 und 9.000 Jahren vor heute durchgeführt wurden. Inwieweit die Eingriffe in diesem Fall medizinisch indiziert waren, blieb bei der Untersuchung an den Betroffenen jedoch ungeklärt (Coppa et al. 2006). Bei Grabungsarbeiten an einer steinzeitlichen Fundstelle in Ägypten wurde eine aus einer Muschel gefertigte Nachbildung eines menschlichen Schneidezahns gefunden. Da dieser artifizielle Zahn nicht in situ gefunden wurde, kann über seinen Verwendungszweck nur spekuliert werden. Neben seiner Verwendung als Ersatz eines verloren gegangenen Inzisivus kann dieser geschnitzte Zahn auch als bloßes Schmuckobjekt gedient haben (Irish et al. 2004). Auch aus den süd- und mittelamerikanischen Hochkulturen sind zahlreiche Manipulationen und Eingriffe im oralen Kontext bekannt (Gantzer 1969, Tiesler et al. 2017, Watson und Garcia 2017).

Unter Berücksichtigung des archäologischen oder historischen Kontextes ermöglichen die Erkenntnisse aus der Untersuchung der überlieferten Skelettfunde eine Vielzahl sozial- und kulturgeschichtlich relevanter Aussagen über die jeweilige Zeit und gehen damit weit über die engere Paläopathologie hinaus. Neben empirisch erworbenen Erfahrungswerten mit Krankheiten und Gebrechen prägen über die längsten Phasen der Menschheitsgeschichte magisch-religiöse Vorstellungen das Verhalten und Handeln im Bereich der Heilkunde.

Die Entstehung von Hochkulturen und die Entwicklung von Schriftsystemen markieren den wesentlichen kulturellen Rahmen für die in der medizinhistorischen Forschung als archaisch bezeichnete Medizin des 3. bis 1. Jahrtausends v. Chr., die jedoch geographisch-kulturell beschränkt bleibt. Ihre Fortschritte und Veränderungen gegenüber der magisch-religiösen Medizin beruhen auf der langsam einsetzenden Anwendung des Kausalitätsdenkens in der Diagnostik, auf exakter Beobachtung und Systematik und erstmalig in der schriftlichen Weitergabe des medizinischen Wissens. Eine Vielzahl hygienischer Maßnahmen für das Gemeinwohl (z. B. Kanalisationen, Bäder, Latrinen) sind durch Baudenkmäler eindrucksvoll überliefert. Die Bedeutung solcher Vorkehrungen für die Gesundheit der Menschen im Römischen Reich wird jedoch weit überschätzt (Mitchell 2017). Im letzten Jahrtausend vor der Zeitenwende etabliert sich in Griechenland die erste theoretisch begründete Medizin. Sie entsteht auf dem Boden eines kulturellen Neubeginns, der stark von naturphilosophischen Strömungen beeinflusst ist. Dadurch vermag sie sich von der religiösen Dogmatik der sogenannten Tempelmedizin zu lösen und in ersten Einrichtungen, Vorstufen der späteren medizinischen Schulen, den Boden für die „hippokratische Lehre“ zu bereiten. Deren wissenschaftliche Grundlagen bilden nicht nur die Basis für die griechisch-römische Medizin der Antike (7. Jh. v. Chr. bis 4. Jh. n. Chr.), sondern stellen auch für die Medizin der Neuzeit die wichtigste Entwicklungsphase dar. Die Überwindung der magisch-religiösen Priestermedizin im ersten Jt. v. Chr. ist gleichzusetzen mit dem Beginn der wissenschaftlichen Medizin in Europa. Eine eigenständige Entwicklung in Westeuropa nimmt sie jedoch erst nach dem Untergang des weströmischen Reiches (Hoffmann-Axthelm 1973).

Ihre Errungenschaften zeitigen Auswirkungen bis heute und sind durch ein umfangreiches medizinisches Schrifttum belegt. Wichtige Quellen für die medizinische Literatur jener Zeit sind das „Corpus Hippocraticum“, eine Sammlung medizinischer Schriften, die auf Hippokrates (460 bis 370 v. Chr.) und seine Schüler zurückgeht, der medizinische Teil „De medicine libri octo“ einer Enzyklopädie von Aulus Cornelius Celsus aus der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr. sowie die Gesamtdarstellung der Medizin bei Galen (129 bis 199 n. Chr.). Das Ende der Periode der antiken Medizin wird chronologisch unterschiedlich bewertet. Häufig werden der politische Zerfall des römischen Weltreichs in einen östlichen und westlichen Teil (330 n. Chr.), teils auch das Jahr 395 n. Chr. als Zäsur genannt, aber inzwischen liegen die Daten für das Ende der Antike eher in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts oder sogar noch später (Demandt 2014).

Während die medizinische Tradition der Antike im Osten durch byzantinische Kompilatoren ihre oft als steril bezeichnete Fortführung fand – positive Stimmen heben allerdings ihre Originalität hervor –, gerieten im Westen die medizinischen Fertigkeiten und Kenntnisse aufgrund der politischen und wirtschaftlichen Folgeerscheinungen, die mit dem Untergang des weströmischen Reiches verbunden waren, in Vergessenheit. Wesentliche Ereignisse im Westen stellen die Germaneneinfälle und die Wirren der Völkerwanderungszeit dar.

Während des Mittelalters (5. bis 15. Jh. n. Chr.) gelangt antikes medizinisches Wissensgut durch Rezeption, Kompilation und Übersetzungstätigkeit allmählich aus dem arabisch-islamischen Sprach- und Kulturraum in die christliche Welt (Übersetzungen aus dem Arabischen ab 11. Jh., aus dem Griechischen ab 12. Jh.). Frühe Medizinschulen wie Salerno, Toledo, Montpellier und Bologna fungieren ab dem 11. Jahrhundert als Vermittler des theoretischen Wissens für die in der medizinhistorischen Forschung als Zeit der Klostermedizin und Scholastik bekannten medizinischen Perioden (Hoffmann-Axthelm 1973, Strübig 1989).

Bis zum Spätmittelalter verharren Medizin und Zahnmedizin in West- und Mitteleuropa weitgehend auf dem Kenntnisstand der Antike. Im Laufe der Zeit werden jedoch eigene Konzepte entwickelt und gegen Ende des Mittelalters entsteht eine weniger stark von dem antiken medizinischen Gedankengut geprägte Literatur. Eine selbständige Entwicklung der Medizin (die Zahnmedizin eingeschlossen) beginnt in West- und Mitteleuropa erst mit dem 16. Jahrhundert. Die Erfindung der Buchdruckerkunst (um 1450) begünstigt das Entstehen und die Verbreitung einer eigenständigen medizinischen Literatur und führt damit schließlich zu einer immer stärkeren Abwendung vom traditionellen antiken Schrifttum.

Vom allgemeinen Aufschwung der Chirurgie wesentlich mitgetragen, beginnt dann im 16./17. Jahrhundert eine eigenständige Entwicklung der Zahnmedizin, was u. a. in der Entstehung einer spezifischen Fachliteratur zum Ausdruck kommt. Bis weit in das 18. Jahrhundert hinein besteht zahnärztliche Therapie jedoch noch primär in der Durchführung von Extraktionen durch Chirurgen, Barbiere und umherreisende „Zahnbrecher“. Daneben erbringen aber bereits geschickte Handwerker Leistungen auf zahntechnischem Gebiet, allerdings für eine nur verschwindend geringe Zahl von begüterten Patienten. Wie schriftliche Quellen und Funde prothetischer Arbeiten aus dieser Zeit belegen, erfolgte die methodische Abkehr von den antiken und mittelalterlichen Behandlungsmaßnahmen eher langsam. Dennoch standen die „Zahnbehandler“ des 18. Jahrhunderts an der Schwelle zu einer autonomen Zahnheilkunde (vgl. Hoffmann-Axthelm 1985, Ring 1997, Groß 2019).

1.3Der kosmetisch-ästhetische Wert der Zähne in Vergangenheit und Gegenwart

Den individuellen Wert und die kulturelle Bedeutung der Zähne und des Gebisses in Vergangenheit und Gegenwart spiegeln archäologische Funde, schriftliche antike Quellen sowie ethnologische Feldstudien wider. So haben z. B. Zähne bei Naturvölkern weniger einen funktionellen als einen idealisierenden Wert. Für die in vielen Gebieten der Welt vorkommenden artifiziellen Veränderungen an Zähnen, wie Färbungen, Schmuckeinlagen und Zahnfeilungen, werden religiös-kultische, soziologisch-wirtschaftliche, ästhetisch-künstlerische und medizinisch-hygienische Gründe geltend gemacht (Alt et al. 1990, Alt und Pichler 1998, Garve 2014, Burnett und Irish 2017). Diese Bräuche stehen scheinbar im Widerspruch zu der von Europäern schlechthin als Schönheitsideal empfundenen Natürlichkeit der Zähne in Form, Farbe und Stellung, die bereits Griechen und Römer vertraten. Dass kosmetisch-ästhetische Vorstellungen aber stark von kulturspezifischem Brauchtum abhängen, zeigt die in islamischen und osteuropäischen Ländern noch häufig zu beobachtende Sitte, Zähne im sichtbaren Bereich mit Gold oder anderen Metallen zu überkronen, um damit die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht zu demonstrieren, ähnlich wie in Japan die Schwarzfärbung der Zähne bis ins 19. Jahrhundert die Verheiratung einer Person angezeigt hat (zum Themenkomplex „Ästhetik“ siehe Kap. 17). Auch in Laos und Vietnam sind solche Schwarzfärbungen der Zähne bekannt. Hier wird vermutet, dass die Prozedur nicht nur ästhetischen Wert, sondern auch medizinischen Nutzen bei der Kariesprävention haben könnte (Tayanin et al. 2006).

In der modernen Zahnmedizin bildet die Wiederherstellung der gestörten Kaufunktion den Schwerpunkt jeder prothetischen Behandlung. Daneben sind funktionelle, ästhetische und phonetische Aufgaben zu erfüllen. Wie jeder zahnärztliche Behandler bestätigen wird, sind für die Patienten primär ästhetische Beweggründe für den Wunsch nach Anfertigung von Zahnersatz maßgebend, weil den Zähnen für das Leben in der Gesellschaft und Öffentlichkeit hohe Bedeutung zukommt. Zahnlosigkeit im Frontzahngebiet wird in der Regel nur kurze Zeit von den Betroffenen akzeptiert, wobei viele Patienten bis zur Fertigstellung einer Interimsversorgung sogar krank geschrieben werden möchten. Während im lückigen Frontzahngebiss Patienten meist von sich aus mit dem Wunsch nach einer prothetischen Rehabilitation kommen, stört Zahnlosigkeit im Seitenzahngebiet selten und es bedarf vielfach besonderer Hinweise des Zahnarztes auf entstehende Funktionsstörungen, bevor hier in eine prothetische Versorgung eingewilligt wird.

Erfahrungsgemäß sind es also weniger die funktionellen Auswirkungen von Zahnverlust und Zahnlosigkeit – einmal abgesehen von den Sprachschwierigkeiten – als vielmehr die negativen Einschränkungen des äußeren Erscheinungsbildes, das Empfinden eines körperlichen Defektes, die Patienten in die zahnärztliche Praxis und in eine prothetische Behandlung führen. Fehlfunktionen werden oft über längere Zeit durch reaktives Verhalten kompensiert, Schmerzen bisweilen durch Selbstmedikation therapiert und die Nahrungsaufnahme den gegebenen Möglichkeiten angepasst. Ein lückenhaftes, schadhaftes und ungepflegtes Gebiss dagegen weckt bei vielen Menschen ein tief verankertes Schamgefühl und löst psychosoziale Störungen aus, weil mit dem schlechten Gebiss ein Verlust an Jugend, Schönheit und Attraktivität assoziiert und der Gebisszustand vielfach dem individuellen Fehlverhalten des Trägers angelastet wird (Böhme et al. 2015).

Die Erkenntnis, dass seitens der Patienten kosmetische Beweggründe Priorität vor funktionellen Erwägungen bei Zahnverlust haben, ist nicht auf die Verhältnisse in modernen Gesellschaften beschränkt. Bereits in der zeitgenössischen antiken Literatur werden die negativen Auswirkungen von Zahnverlust auf das Befinden der Betroffenen geschildert, die, wenn sie es sich leisten konnten, technisch zwar unzulänglichen, kosmetisch aber wohl befriedigenden Zahnersatz herstellen ließen. Archäologisch überlieferte, kaufunktionell völlig insuffiziente Konstruktionen von Zahnersatz sind der konkrete Beweis dafür, dass die Wiederherstellung des Kauorgans allenfalls sekundär von Bedeutung war. Bis weit in das 19. Jahrhundert bestimmte primär der Wunsch nach ästhetischer Rehabilitation die Herstellung von Zahnersatz (Alt 1993).

An Behandlungsgrundsätzen sind, außer der Absicht, die entstandene Lücke zu schließen und eingefallen wirkende Gesichtspartien auszupolstern, meist keine weiteren Kriterien erkennbar. Funktionelle Erwägungen scheinen kosmetischen Zwecken immer nachgeordnet, wenngleich einige Fundstücke belegen, dass „Zahnkünstler“ mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln und mit Geschick und Können gelegentlich versucht haben, funktionelle Gesichtspunkte (z. B. Okklusion) bei der Herstellung von Zahnersatz zu berücksichtigen. Dies gelang meist nur unvollkommen und war immer nachrangig. Ein klassisches Beispiel für die Unzulänglichkeit seines Zahnersatzes stellt George Washington dar, der bereits im Alter von 40 Jahren eine Teilprothese aus Nilpferdknochen erhalten hatte, in die menschliche Zähne unbekannter Herkunft eingesetzt waren (Weinberger 1948). In vielen Anekdoten wird erzählt, dass G. Washington lebenslang an den Veränderungen gelitten hat, die mit dem Zahnverlust und dem Tragen des insuffizienten Zahnersatzes zusammenhingen (Lässig und Müller 1983). Überhaupt hatten die Behandlungsversuche oftmals nur kurzfristig Erfolg, da eine den Restzahnbestand schonende Verankerung des Zahnersatzes noch nicht möglich war. Nach Eingliederung des Ersatzes waren die Pfeilerzähne durch Fehlbelastungen bald geschädigt und gingen vielfach vorzeitig verloren (vgl. Alt 1993).

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