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Морган Райс Schwur des Ruhms
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Gwen dachte an ihren Vater und fragte sich, was er in ihrer Situation tun würde. Sie musste lächeln. Er hätte den Tapferen gespielt, was auch immer geschehen würde. Er hatte ihr immer geraten, ihre Angst hinter lautem Getöse zu verbergen. Und wenn sie an sein Leben zurückdachte, dann war er ihr niemals ängstlich erschienen. Nicht ein einziges Mal. Vielleicht war alles nur Schauspiel gewesen; doch es war gut gewesen. Als Anführer hatte er gewusst, dass er immer den Blicken aller ausgesetzt war, und er hatte gewusst, dass sie das Schauspiel brauchten, vielleicht sogar mehr als Führerschaft. Er war zu selbstlos, um sich seinen Ängsten zu ergeben. Sie würde von seinem Beispiel lernen und es genauso wenig tun.
Gwen sah sich um und sah Godfrey neben sich laufen, und neben ihm Illepra, die Heilerin; die beiden waren in ein Gespräch vertieft, und sie hatte bemerkt, dass sie zunehmend aneinander Gefallen zu finden schienen seit Illepra sein Leben gerettet hatte.
Gwen wünschte sich, dass ihre anderen Geschwister auch bei ihr hätten sein können. Doch Reece war mit Thor gegangen, Gareth war natürlich für alle Ewigkeit verloren und Kendrick war noch immer irgendwo im Osten mit dem Wiederaufbau einer entlegenen Stadt beschäftigt. Sie hatte einen Boten zu ihm geschickt – das war das erste, was sie getan hatte – und sie betete, dass er ihn rechtzeitig erreichen würde um ihn nach Silesia zu rufen, damit er ihr helfen konnte, es zu verteidigen. Wenigstens konnten zwei ihrer Brüder, Kendrick und Godfrey, mit ihr in Silesia Zuflucht finden, damit wüsste sie, wo alle ihre Geschwister waren. Außer natürlich ihre älteste Schwester, Luanda.
Zum ersten Mal seit einer langen Zeit wanderten Gwens Gedanken zu Luanda. Sie hatte immer eine bittere Rivalität mit ihrer Schwester gehabt; es hatte sie nicht im Geringsten überrascht, dass Luanda di erste Gelegenheit ergriffen hatte aus King’s Court zu fliehen und einen McCloud zu heiraten. Luanda war schon immer ehrgeizig gewesen und hatte schon immer die Erste sein wollen. Gwen hatte sie geliebt und zu ihr aufgesehen als sie jünger war; doch Luanda, für die alles ein Wettbewerb war, hatte ihre Liebe nicht erwidert. Und nach einer Weile hatte Gwen aufgegeben.
Doch jetzt tat sie ihr leid; sie fragte sich, was aus ihr geworden war, jetzt nachdem Andronicus die McClouds überfallen hatte. Würde sie getötet werden? Gwen schauderte bei dem Gedanken. Sie waren Rivalinnen, doch sie waren auch immer noch Geschwister, und sie wollte nicht, dass Luanda einen verfrühten Tod fand.
Gwen dachte an ihre Mutter, die einzige ihrer Familie, die noch da draußen war, gestrandet in King’s Court mit Gareth, immer noch im gleichen Zustand. Der Gedanke ließ sie frieren. Trotz aller Wut, die sie auf ihre Mutter hatte, hätte ihr Gwen nicht ein solches Ende gewünscht. Was würde passieren, wenn King’s Court überrannt werden sollte? Würde sie ermordet werden?
Gwen konnte das Gefühl nicht abstreifen, dass ihr so sorgfältig aufgebautes Leben um sie herum zusammenbrach. Es als wäre es erst gestern gewesen, Luandas Hochzeit im Hochsommer, ein glorreiches Fest. King’s Court schwelgte im Überfluss und sie und ihre Familie waren vereint und feierten – und der Ring war uneinnehmbar. Es schien, als würde es ewig so weitergehen.
Jetzt war alles zerbrochen. Nichts war mehr so wie es einmal gewesen ist.
Ein kalter Herbstwind kam auf, und Gwen zog ihren blauen Wollumhang enger um ihre Schultern. Der Herbst war kurz gewesen in diesem Jahr und der Winter hielt schon seinen Einzug. Sie konnte die eiskalten Böen spüren; sie wurden stärker und feuchter, je weiter sie nach Norden kamen. Der Himmel verdunkelte sich, und bald war die Luft mit einem neuen Klang gefüllt – den Schreien der Wintervögel, diese schwarz-roten Raubvögel die tief ihre Kreise zogen, sobald die Temperatur fiel. Sie krächzten unaufhörlich und der Klang strapazierte Gwens Nerven so manches Mal. Es klang wie die Ankündigung eines bevorstehenden Todes.
Seit sie sich von Thor verabschiedet hatte waren sie dem Canyon in Richtung Norden gefolgt. Sie wusste, dass diese Route sie in die westlichste Stadt des Westteils des Rings bringen würde – Silesia. Während sie liefen zog ein gespenstischer Nebel in dicken Schwaden über sie hinweg und schien an Gwen’s Füssen zu hängen.
„Es ist nicht mehr weit, Mylady.“, hörte sie eine Stimme sagen.
Gwen blickte auf und sah Srog neben sich stehen. Er trug die unverkennbare rote Rüstung von Silesia und war flankiert von seinen Kriegern, die alle mit denselben roten Kettenhemden und Stiefeln bekleidet waren.
Gwen war zutiefst berührt von der Güte, mit der Srog ihr begegnete, von der Loyalität an die Erinnerung ihres Vaters, von seinem Angebot, Silesia als Zufluchtsort zu nutzen. Sie wusste nicht, was sie und diese Menschen ohne ihn getan hätten. Sie würden noch immer in King’s Court festsitzen und Gareths Heimtücke ausgeliefert sein.
Srog war einer der ehrenhaftesten Lords, die ihr je begegnet sind. Mit tausenden Kriegern zu seiner Verfügung, mit seiner Kontrolle über das Bollwerk des Westens, musste Srog niemandem Tribut zollen. Doch er hatte ihrem Vater seine Ehrerbietung erwiesen. Es war schon immer eine empfindliche Balance der Macht gewesen. In den Zeiten ihres Großvaters hatte Silesia King’s Court gebraucht; zu ihres Vaters Zeiten weniger; und jetzt, zu ihrer Zeit überhaupt nicht. In der Tat, war sie es, die Silesia brauchte, mit dem Zusammenbruch des Schildes und all dem Chaos in King’s Court.
Natürlich waren die Silver und die Legion die besten Krieger, die es gab – genauso wie die tausende von Männern der königlichen Armee, die Gwen jetzt folgten.
Srog hätte einfach seine Tore verschließen, wie so viele andere Lords, und sich um die Seinen kümmern können. Doch stattdessen hatte er Gwen aufgesucht, hatte ihr die Treue geschworen und darauf bestanden, ihnen allen eine neue Heimat zu bieten. Gwen war fest entschlossen, sich eines Tages dafür zu revanchieren. Falls sie es überleben sollten.
„Sorgt Euch nicht.“, sagte sie sanft und legte ihre Hand auf seine. „Wir würden bis ans Ende der Erde laufen, um zu Eurer Stadt zu kommen. Wir schätzen uns überglücklich über Eure Gunst in dieser schwierigen Zeit.“
Srog lächelte. Er war ein Krieger mittleren Alters mit zu vielen Falten, die all die Schlachten, die er in seinem Leben geschlagen hatte in sein Gesicht gegraben hatten, rötlich-braunem Haar, einem kräftigen Kiefer und ohne Bart. Ein gestandener Mann, nicht nur ein Lord, sondern ein echter Krieger.
„Für Euren Vater wäre ich durchs Feuer gegangen.“, antwortete er. „Ihr müsst mir nicht danken. Es ist eine große Ehre, nun seiner Tochter dienen zu dürfen. Immerhin war es sein Wunsch, dass ihr Herrschen sollt. Wenn ich Eurem Befehl folge, folge ich daher ihm.“
In ihrer Nähe marschierten auch Kolk und Brom und hinter ihnen war das ständig präsente klappern von tausenden von Sporen, von Schwertern die in ihren Scheiden klappern, von Schilden, die gegen Rüstungen stießen.
Es war eine riesige Kakophonie von Geräuschen die sich weiter und weiter entlang der Kante des Canyon Richtung Norden bewegte.
„Mylady. Die Schuld wiegt schwer auf meinen Schultern.“, sagte Kolk. „Wir hätten Thor, Reece und die anderen nicht alleine ins Empire aufbrechen lassen dürfen. Mehr von uns hätten mit ihnen gehen sollen. Wenn ihnen irgendetwas zustößt, bin ich schuld.“
„Sie haben ihre eigene Wahl getroffen.“, sagte Gwen. „Es ist eine ehrenwerte Suche. Wer auch immer vom Schicksal ausgewählt worden ist zu gehen, hat sich auf die Suche begeben. Sich schuldig zu fühlen hilft niemandem.“
„Und was geschieht, wenn sie nicht rechtzeitig mit dem Schwert zurückkehren?“, fragte Srog. „Es wird nicht lange dauern, bevor Andronicus vor unseren Toren aufmarschieren wird.“
„Dann werden wir uns zur Wehr setzen.“, erklärte Gwen selbstbewusst, und versuchte in ihrer Stimme soviel Mut mitschwingen zu lassen, wie sie nur konnte, in der Hoffnung die anderen damit zu beruhigen. Sie bemerkte, dass sich die anderen Generäle zu ihr umdrehten und sie ansahen.
„Wir werden uns bis zuletzt verteidigen.“, fügte sie hinzu. „Weder werden wir uns zurückziehen noch kapitulieren.“
Sie konnte spüren, dass die Generäle beeindruckt waren. Sie war selbst von ihrer Stimme beeindruckt, von der Stärke, die in ihr aufstieg. Es war die Stärke ihres Vaters, von sieben Generationen von MacGil Königen.
Als sie weitermarschierten, bog die Straße in einer scharfen Kurve nach links, und als sie ihr folgte blieb sie stehen. Der Anblick verschlug ihr den Atem.
Silesia.
Gwen erinnerte sich, dass ihr Vater sie auf seinen Reisen hierhin mitgenommen hatte als sie noch ein kleines Mädchen war. Es war ein Ort, der seitdem in ihren Träumen nachgeklungen hatte, ein Ort der ihr damals magisch vorgekommen war. Und jetzt, da sie ihn als erwachsene Frau wieder sah, nahm er ihr immer noch den Atem.
Silesia war die ungewöhnlichste Stadt die Gwen je gesehen hatte. All die Gebäude, all die Befestigungsanlagen, all der Stein – alles war aus altem, leuchtendrotem Stein gebaut. Die obere Hälfte von Silesia, hoch, vertikal, dominiert von Zinnen und Türmen, war auf festem Boden erbaut. Die untere Hälfte war in die Wände des Canyon gebaut. Die wabernden Nebel des Canyon zogen auf und verschwanden wieder, umhüllten die Stadt, ließen das Rot strahlen und schimmern im Licht – und erweckten den Anschein, dass sie auf Wolken gebaut war.
Ihre Befestigungen waren mehr als 30 Meter hoch, gekrönt von Zinnen und gesichert durch eine endlos erscheinende Stadtmauer. Dieser Ort war eine gigantische Festung. Selbst wenn es einer Armee gelingen sollte, in die Mauern einzudringen, müssten sie immer noch über die Klippen in den unteren Teil der Stadt herabsteigen und an der Kante des Canyon kämpfen. Das war eindeutig ein Krieg, den keine Invasionsstreitmacht würde führen wollen. Was der Grund dafür war, dass die Stadt seit mehr als tausend Jahren stand.
Ihre Männer hielten an und staunten und Gwen konnte fühlen, dass auch sie alle voller Ehrfurcht waren. Zum ersten Mal seit einer ganzen Weile fühlte Gwen so etwas wie Optimismus. Das war ein Ort, an dem sie bleiben konnten – weit außerhalb Gareths Reichweite – ein Ort, der sich gut verteidigen ließ. Ein Ort, an dem sie regieren konnte. Und vielleicht – ja vielleicht könnte sich das Königreich der MacGils von neuem erheben.
Srog stand die Hände in die Hüften gestemmt da und sog das Bild in sich auf, als würde er die Stadt zum ersten Mal sehen. Seine Augen glänzten Stolz.
„Willkommen in Silesia!“.
KAPITEL SECHS
Thor öffnete seine Augen bei Anbruch der Morgendämmerung und sah die lebhaften Wogen des Ozeans, die in tiefen Wellentälern ausliefen, beschienen vom sanften Licht der ersten Sonne. Das hellgelbe Wasser des Tartuvianischen Meeres glitzerte im Morgennebel. Das Schiff tanzte leise vor sich hin, und das einzige Geräusch, das weit und breit zu hören war, war das leise Plätschern der Wellen am Rumpf.
Thor setzte sich auf und sah sich um. Seine Augenlider waren schrecklich schwer – und in der Tat hatte er sich noch nie so müde gefühlt. Sie waren seit Tagen gesegelt und alles auf dieser Seite der Welt schien anders zu sein. Es war so viel wärmer und die Luftfeuchtigkeit war so hoch, dass es sich anfühlte, als ob man Wasser atmen würde. Das Klima machte ihn träge und seine Gliedmaßen fühlten sich schwer an. Er fühlte sich wie im Hochsommer.
Thor blickte auf seine Freunde, die normalerweise lange vor der Morgendämmerung wach waren, noch friedlich an Deck verstreut schlafen. Sogar Krohn, der sonst immer wach zu sein schien, schlief noch an seiner Seite. Das feuchte tropische Klima machte ihnen allen zu schaffen. Keiner von ihnen machte sich mehr die Mühe, das Steuerrad besetzt zu halten – das hatten sie schon vor Tagen aufgegeben. Es hatte keinen Sinn: ihre Segel waren Tag und Nacht vom Westwind gebläht, und die magischen Gezeiten dieses Ozeans zogen das Schiff konstant in die gleiche Richtung. Es war ganz so, als würde sie etwas zu einem bestimmten Punkt hin ziehen. Sie hatten ein paarmal versucht, den Kurs zu ändern – doch ohne Erfolg.
Sie hatten resigniert und beschlossen das Tartuvianische Meer sie schon irgendwo hin bringen würde.
Es war ohnehin nicht so, dass sie gewusst hätten, wo sie hingehen sollten. Thor grübelte. So lange die Gezeiten sie irgendwo im Empire an Land bringen würden, wäre das schon in Ordnung.
Krohn wachte auf, winselte und dann lehnte er sich an Thor und leckte sein Gesicht. Thor griff in seinen Sack mit den Leckereien für Krohn und fand darin ein letztes Stückchen getrocknetes Fleisch.
Zu Thors Überraschung schnappte er es sich nicht sofort aus seiner Hand wie er es sonst immer tat; stattdessen sah Krohn auf das getrocknete Fleisch, dann auf den Sack und dann zu Thor. Er zögerte das Essen anzunehmen, und Thor erkannte, dass Krohn nicht das letzte Stück von ihm nehmen wollte.
Thor war zutiefst berührt von der Geste, aber er bestand darauf und schob seinem Freund das Fleisch ins Maul. Thor wusste, dass ihnen bald das Essen ausgehen würde, und er betete, dass sie vorher Land erreichen würden. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wieviel länger ihre Reise dauern würde; was, wenn es Monate wären? Wie sollten sie etwas zu Essen finden?
Die Sonne kletterte hier schnell am Himmel, und schien viel zu früh viel zu stark, und als der Nebel sich zu lichten begann ging Thor an den Bug.
Er stand da und hielt Ausschau während das Deck sanft unter ihm schaukelte, und beobachtete, wie sich der Nebel langsam auflöste. Thor blinzelte. Er fragte sich, ob er anfing Dinge zu sehen, als am Horizont die Umrisse von etwas, das wie Land aussah auftauchten. Sein Puls beschleunigte sich. Es war Land! Land!
Es schien eine ausgesprochen ungewöhnliche Form zu haben: zwei lange, schmale Halbinseln erstreckten sich weit ins Meer, wie die Zinken einer Heugabel, und als sich der Nebel hob sah Thor, dass zu beiden Seiten von ihnen bereits Land war. Sie waren auf beiden Seiten nicht mehr als fünfzig Meter entfernt. Sie wurden von irgendetwas direkt in den Meeresarm gezogen.
Thor pfiff und seine Brüder rappelten sich langsam auf. Sie beeilten sich, zu ihm an den Bug zu kommen, wo er immer noch Ausschau hielt.
Sie alle standen da, atemlos von dem Anblick, der sich ihnen bot: eine derart exotische Küste hatten sie noch nie gesehen. Dichter Urwald reichte bis fast an die Wasserlinie heran – riesige Bäume, die so dicht wuchsen, dass man unmöglich zwischen ihnen hindurch sehen konnte. Thor entdeckte riesige, zehn Meter hohe Farne, die über das Wasser hingen; gelbe und violette Bäume die bis in den Himmel zu reichen schienen; und aus allen Richtungen hörten sie ununterbrochen die Stimmen von Tieren, Vögeln, Insekten und er hatte keine Ahnung was sonst noch alles heulte, knurrte und sang.
Thor schluckte schwer. Er fühlte sich als ob er ein undurchdringliches Königreich der Tiere betrat. Alles schien hier anders zu sein; selbst die Luft roch anders, fremd. Nichts hier erinnerte auch nur im Entferntesten an den Ring. Seine Waffenbrüder sahen sich gegenseitig an und Thor konnte das Zögern in ihren Augen sehen. Sie alle fragten sich, welche Kreaturen im Urwald auf der Lauer lagen und auf sie warteten.
Es war nicht so, dass sie eine Wahl gehabt hätten. Die Strömung trieb sie in eine Richtung, und sie hatten ganz klar ihr vorläufiges Ziel erreicht. Hier würden sie von Bord gehen, und zum ersten Mal den Boden des Empire betreten.
„Hier drüben!“ rief O’Connor.
Sie liefen zu O’Connors Seite der Reling, und er beugte sich darüber und zeigte nach unten auf das Wasser. Dort schwamm neben dem Schiff ein riesiges Insekt in leuchtendem Violett her, es war ungefähr drei Meter lang, mit hunderten von Beinen. Es leuchtete unter den Wellen, dann wimmelte es über die Wasseroberfläche; als es das tat, begannen tausende von kleinen Flügeln zu surren, und es erhob sich gerade über die Wasseroberfläche um dann in einer fließenden Bewegung abzutauchen, nur um wieder aufzutauchen und den Ablauf wieder von vorne zu beginnen.
Während sie es beobachteten, erhob es sich plötzlich höher in die Luft, auf Augenhöhe mit ihnen, schwebte und starrte sie mit großen grünen Augen an. Es zischte, und sie sprangen unwillkürlich zurück und griffen nach ihren Schwertern.
Elden trat vor und schwang danach. Doch als sich sein Schwert senkte, war es schon wieder zurück im Wasser.
Thor und die andern stolperten und fielen kreuz und quer über Deck als das Boot unvermittelt und abrupt anhielt und mit einem Ruck auflief.
Thors Herz schlug schneller, als er über die Kante blickte: unter ihnen war ein schmaler Strand aus tausenden von kleinen zerklüfteten Steinen, alle von leuchtendem Violett.
Land. Sie hatten es geschafft.
Elden und die anderen gingen zum Anker und gemeinsam wuchteten sie ihn von Bord. Sie kletterten an der Kette hinunter und hatten endlich wieder festen Boden unter den Füssen.
Thor seufzte, als seine Füße den Boden berührten. Es fühlte sich so gut an - trockenes, unbewegtes Land! Es würde ihm nichts ausmachen, nie wieder ein Schiff zu besteigen.
Alle ergriffen die Taue und zerrten das Boot so weit an Land wie sie nur konnten.
„Denkst du, dass die Gezeiten es davonziehen werden?“, fragte Reece und sah zum Boot auf.
Thor sah es an und es schien sicher und fest am Strand zu liegen.
„Nicht mit diesem Anker.“, erklärte Elden.
„Die Gezeiten werden es nicht nehmen.“, stellte O’Connor fest. „Die Frage ist vielmehr, ob jemand anderes es vielleicht tun wird.“
Thor warf einen letzten Blick auf das Schiff und erkannte, dass sein Freund Recht hatte. Selbst wenn sie das Schwert finden konnten, würden sie vielleicht zu einer leeren Küste zurückkehren.
„Und wie kommen wir zurück?“, fragte Conval.
Thor konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass sie mit jedem Schritt, den sie taten, die Brücken hinter sich abbrachen.
„Wir werden schon einen Weg finden.“, sagte Thor. „Es muss ja schließlich im Empire andere Schiffe als unseres geben, nicht wahr?“
Thor versuchte autoritär zu wirken um seine Freunde zu beruhigen. Doch tief in seinem inneren war er selbst nicht so sicher. Diese ganze Reise schien ihm immer wenige unter einem guten Stern zu stehen.
Sie sahen auf die Baumgrenze. Es war eine Wand aus Blättern, mit nichts als Finsternis dahinter. Die Laute der Tiere um sie herum hoben zu einer wahren Kakophonie an. So laut, dass Thor kaum klar denken konnte. Es war, als ob jedes Tier des Empire zu ihrer Begrüßung schreien würde.
Oder um sie zu warnen.
*
Thor und die anderen wanderten Seite an Seite, argwöhnisch und wachsam, durch den dicken tropischen Urwald. Es fiel Thor schwer einen klaren Gedanken zu fassen, so laut und anhaltend waren die Schreie und das Orchester der Insekten und Tiere um ihn herum. Doch wenn er in die Schwärze des Waldes blickte, konnte er sie nicht sehen.
Krohn folgte ihm und knurrte, das Haar auf seinem Rücken aufgestellt. Thor hatte ihn noch nie so wachsam erlebt. Er sah hinüber zu seinen Waffenbrüdern und sah dass sie alle, genauso wie er eine Hand am Schwertknauf hatte. Auch sie waren aufs Äußerste angespannt.
Sie liefen schon seit Stunden, tiefer und tiefer in den Urwald hinein und die Luft wurde nur wärmer und dicker, noch feuchter, und das Atmen fiel schwer. Sie waren den Spuren von etwas gefolgt, was wohl einmal ein Weg gewesen war, ein paar abgebrochene Äste ließen darauf schließen, dass die Diebe vielleicht hier entlang gekommen waren. Thor hoffte nur, dass dies wirklich ihre Spuren waren.
Er blickte voller Ehrfurcht über die Natur auf. Alles war in epischen Ausmaßen überwuchert, viele der Blätter waren so groß wie er selbst. Er fühlte sich wie ein Insekt in einem Land von Riesen. Er sah eine Bewegung hinter ein paar Blättern, konnte aber nichts erkennen. Er hatte das eigenartige Gefühl, dass sie beobachtet wurden.
Der Weg vor ihnen endete plötzlich vor einer dichten Wand von Blättern. Sie blieben stehen und blickten einander verwundert an.
„Ein Weg kann doch nicht einfach so verschwinden!“, sagte O’Connor und schien verzweifelt.
„Ist er auch nicht.“, erklärte Reece und untersuchte die Blätter. „Der Urwald hat ihn sich zurückgeholt.“
„Wohin sollen wir dann jetzt gehen?“, wollte Conval wissen.
Thor blickte sich um und fragte sich dasselbe. Egal wohin er sah, sie waren von dichtem Blattwerk umgeben aus dem es keinen Weg heraus zu geben schien. Thor wurde bange ums Herz und er fühlte sich in zunehmendem Masse verloren.
Dann hatte er eine Idee.
„Krohn.“, sagte er und kniete sich hin um in sein Ohr zu flüstern. „Klettere auf den Baum da. Sei unsere Augen und sag uns wo wir hin müssen.“
Krohn schaute mit treuen Augen zu ihm auf und Thor wusste, dass er ihn verstanden hatte.
Krohn nahm Anlauf und sprintete auf einen riesigen Baum, mit einem Stamm so dick wie zehn Männer, zu und mit einem riesigen Satz sprang er daran hoch und kletterte von Ast zu Ast bis fast nach ganz oben. Er schob sich bis zur Spitze des Astes vor und hielt mit aufgestellten Ohren Ausschau. Thor hatte schon immer geglaubt, dass Krohn ihn verstehen konnte, doch jetzt war er sich sicher.
Krohn duckte sich und gab einen seltsamen schnurrenden Laut von sich, sprang flink über die Äste wieder herunter und lief los. Die Jungen tauschten zunächst verwunderte Blicke aus und folgten dann Krohn tiefer in den Urwald hinein. Sie mussten sich mühsam ihren Weg durch das dichte Blattwerk bahnen.
Nach ein paar Minuten, in denen sie fast blind durch den Wald tasteten entdeckte ein sehr erleichterter Thor den schon verlorengeglaubten Weg, und die abgebrochenen Äste wiesen ihnen wieder den Weg den die andere Gruppe gegangen sein musste. Thor beugte sich zu Krohn herunter und gab ihm einen Kuss auf den Kopf.
„Keine Ahnung, was wir ohne ihn tun würden“, erkannte Reece.
„Ich auch nicht!“, antwortete Thor, und Krohn schnurrte zufrieden und es erschien fast so, als ob er stolz war.
Als sie tiefer in den Urwald vordrangen und sich ihren Weg durch das dicht gewachsene Unterholz bahnten, kamen sie in eine Gegen mit neuen Pflanzen. Sie hatten die Größe eines ausgewachsenen Mannes und blühten überall um sie herum. Die Farbenpracht war hypnotisch. Es gab Bäume mit Früchten in der Größe von Felsbrocken, die von ihren riesigen Ästen hingen.
Sie blieben stehen und bestaunten diese Wunder der Natur während Conval sich nach einer besonders leuchtend roten Frucht streckte.
Plötzlich hörten sie ein tiefes Knurren. Conval sprang zurück und griff sein Schwert und sie sahen sich nervös an.
„Was war das?“, fragte Conval.
„Es kam von da drüben.“, sagte Reece und deutete in die andere Richtung.
Sie wandten sich um schauten. Doch Thor konnte nichts außer Blättern erkennen. Krohn fauchte zurück. Das Knurren wurde lauter, anhaltender, und schließlich hörten sie Blätter rascheln.
Thor und die anderen traten zurück und zogen in Erwartung des Schlimmsten ihre Schwerter.
Was ihnen da aus dem Urwald entgegenkam übertraf selbst Thors schlimmste Erwartungen. Vor ihnen stand ein Insekt, das einer Gottesanbeterin oder Heuschrecke ähnelt, jedoch fünfmal so groß war wie er. Es hatte zwei muskulöse Hinterbeine, und zwei kürzere Vorderbeine mit langen Zangen an den Enden, die in der Luft baumelten und den Scheren eines Hummers ähnelten. Es war leuchtend grün und mit schillernden Schuppen bedeckt und hatte kleine Flügel, die surrten und vibrierten. Es hatte zwei Augen dort, wo man sie erwartet hätte und ein weiteres, drittes Auge an der Nasenspitze. Es bewegte sich und enthüllte noch mehr Zangen unter seinem Hals, die vibrierten und schnappten.
Es stand vor ihnen und überragte sie und eine weitere Zange kam aus seinem Bauch hervor, an einer Art langen, dünnen hervorstehenden Arm; plötzlich und schneller als auch nur einer von ihnen reagieren konnte, schossen drei seiner zangenbewehrten Arme vor und griffen O’Connor um die Hüfte, um ihn hoch in die Luft zu heben, als wäre er leicht wie ein Blatt.





