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Jules Verne Die Eissphinx
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Das Blatt war, wie wir wissen, Arthur Pym in die Hand gekommen. Als er dann, vor Hunger und Durst fast sterbend, durch den Raum schlich und ihm das Messer entfiel, war es das dadurch erregte Geräusch, das seinen Kameraden aufmerksam machte, und diesem glückte es nun endlich, zu ihm vorzudringen.
Nachdem er Arthur Pym alles Vorgefallene erzählt hatte, fügte August Barnard noch hinzu, daß unter den Meuterern Meinungsverschiedenheiten herrschten. Die einen wollten mit dem »Grampus« nach den Inseln des Grünen Vorgebirges segeln, die andern – und zu diesen gehörte Dirk Peters – bestanden darauf, nach den Inseln des Stillen Oceans zu gehen.
Der Hund Tigre, den sein Herr für wuthkrank gehalten hatte, war das in der That nicht. Nur der verzehrende Durst hatte ihn so übermäßig erregt, und er wäre wohl schließlich der Wuthkrankheit verfallen, wenn ihn August Barnard nicht noch rechtzeitig nach dem Vordercastell zurückgebracht hätte.
Nun folgt (im Roman) eine lange Abhandlung über die Stauung der Fracht des Handelsschiffs, von der die Sicherheit an Bord wesentlich abhängt. Die des »Grampus« war nur sehr nachlässig erfolgt, und da viele Frachtstücke bei jeder Schwankung durcheinander fielen, konnte Arthur Pym nicht länger ohne Gefahr im Raume bleiben. Zum Glück fand er mit Hilfe August Barnard's einen Schlupfwinkel im Zwischendeck neben dem Volkslogis.
Der Mestize erwies sich gegen den Sohn des Kapitän Barnard andauernd sehr freundlich, so daß der junge Mann sich fragte, ob er nicht auf den Tauwerksmaat rechnen könne, um sich wieder in Besitz des Schiffes zu setzen.
Dreizehn Tage waren seit der Abfahrt von Nantucket verflossen, als, am 4. Juli, zwischen den Meuterern ein heftiger Wortwechsel wegen einer kleinen, in der Ferne aufgetauchten Brigg entbrannte, die die einen verfolgen, die anderen ruhig weiter ziehen lassen wollten. Daraus entwickelte sich ein Streit, der einem, zur Partei des Schiffskochs gehörigen Matrosen des Leben kostete. Dieser Gegenpartei des zweiten Officiers hatte sich auch Dirk Peters angeschlossen.
Jetzt waren, Arthur Pym mitgerechnet, nur noch dreizehn Mann an Bord.
Da begann ein furchtbarer Sturm das Meer aufzuwühlen. Der »Grampus« nahm durch die Plankenfugen Wasser ein, so daß die Pumpen stets in Bewegung bleiben und am Vordertheil des Rumpfes ein Segel ausgebreitet werden mußte, um dem Wasserandrang einigermaßen zu steuern.
Der Sturm legte sich erst am 9. Juli, und an diesem Tage erklärte Dirk Peters seine Absicht, sich des zweiten Officiers zu entledigen. August Barnard versprach, ihn dabei zu unterstützen, ohne jedoch der Anwesenheit Arthur Pym's Erwähnung zu thun.
Am nächsten Tage verschied einer der dem Schiffskoch ergebenen Matrosen, namens Roger, unter heftigen Krämpfen und niemand bezweifelte, daß ihn der zweite Officier vergiftet habe. Auf der Seite des Kochs standen nun blos noch vier Mann, darunter Dirk Peters. Der zweite Officier hatte noch fünf Mann für sich und würde über die Partei des Kochs schließlich wohl den Sieg davongetragen haben.
Nun war keine Stunde zu verlieren. Der Mestize hatte August Barnard auch erklärt, daß die Stunde zum Handeln gekommen sei, und dieser machte ihm nun Mittheilung über alles, was Arthur Pym betraf.
Während beide sich noch über die anzuwendenden Mittel besprachen, um wieder in Besitz des Schiffs zu kommen, legte dieses ein furchtbarer Windstoß weit auf die Seite. Der »Grampus« richtete sich nicht wieder auf, ohne eine ungeheure Menge Wasser übergenommen zu haben, und solcher verderblicher Windstöße hatte er noch mehrere auszuhalten.
Die Gelegenheit schien günstig, den Kampf zu beginnen, obwohl die Meuterer vorläufig untereinander Frieden geschlossen hatten und der Wachposten jetzt nur von drei Mann, Dirk Peters, August Barnard und Arthur Pym, eingenommen war, während sich neun Mann in der Back befanden. Nur der Schiffskoch besaß zwei Pistolen und ein Seemannsmesser. Es galt also, mit aller Klugheit und Vorsicht ans Werk zu gehen.
Da fiel es Arthur Pym, dessen Anwesenheit an Bord die Meuterer noch nicht ahnen konnten, ein, sich einer Hinterlist zu bedienen, die einige Wirkung versprach. Da die Leiche des vergifteten Matrosen noch auf dem Verdeck lag, meinte er, daß, wenn er in dessen Kleidung plötzlich inmitten der abergläubischen Matrosen erschiene, schon der Schreck sie Dirk Peters auf Gnade oder Ungnade überliefern würde.
Es war tiefdunkle Nacht, als der Mestize dem Hintertheile zuschritt. Von Natur mit großer Kraft beschenkt, stürzte er sich auf den Mann am Ruder und warf ihn im Handumdrehen über die Schanzkleidung hinaus.
August Barnard und Arthur Pym, beide mit einem Pumpenschwengel bewaffnet, schlossen sich ihm an. Dirk Peters blieb dann am Platze des Untersteuermanns zurück, während Arthur Pym so verkleidet, daß er dem Todten möglichst ähnlich aussah, und sein Kamerad sich neben der Kappe der nach der Back hinabführenden Leiter aufstellten. Der zweite Officier, der Schiffskoch und alle übrigen befanden sich darin, schliefen, schwatzten oder tranken, und hatten Flinten und Pistolen nahe bei der Hand liegen.
Der Sturm heulte wüthend, so daß es fast unmöglich war, auf dem Verdeck auszuharren.
Da befahl der zweite Officier, August Barnard und Dirk Peters herunterzuschicken, ein Befehl, der dem Mann am Steuer übermittelt wurde, also keinem andern, als dem Tauwerksmaat selbst. Dieser und der junge Barnard begaben sich nach der Back hinab, wo Arthur Pym bald darauf erschien.
Die Wirkung dieser Erscheinung war wunderbar. Erschreckt durch den Anblick des wiederauferstandenen Matrosen, schnellte der zweite Officier in die Höhe, focht mit den Armen in der Luft umher und brach auf der Stelle todt zusammen. Da stürzte sich Dirk Peters, unterstützt von August Barnard, Arthur Pym und dessen Hunde Tigre, auf die Uebrigen. In wenigen Augenblicken waren alle abgethan, bis auf den Matrosen Richard Parker, dem man das Leben schenkte.
Jetzt, bei der schlimmsten Aufregung der Elemente, waren nur noch vier Mann zur Führung der Brigg da, die mit sieben Fuß Wasser im Raume furchtbar arbeitete. Man mußte den Großmast kappen und ihm am nächsten Morgen auch noch den Fockmast nachsenden. Das war ein schrecklicher Tag und eine noch schrecklichere Nacht! Hätten sich Dirk Peters und seine drei Genossen nicht an den Balken des Spills festgeklammert, so wären sie von einer überschlagenden Woge, die die Lukendeckel des »Grampus« zertrümmerte, über Bord gespült worden.
Weiter folgt im Roman die eingehende Schilderung der Ereignisse, die eine Folge dieser Lage waren, vom 14. Juli bis 7. August: das Fischen nach Lebensmitteln aus dem mit Wasser gefüllten Schiffsraum, die Erscheinung einer geheimnißvollen, mit Leichen bedeckten Brigg, die die Luft weithin verpestete und führerlos vor dem Winde trieb, die Qualen von Hunger und Durst, die Unmöglichkeit, nach der Vorrathskammer zu gelangen, das Loosen mit Strohhalmstücken, das dahin ausfällt, daß Richard Parker geopfert werden soll, um das Leben der drei anderen zu retten, der Tod dieses Unglücklichen, der, von Dirk Peters erschlagen, verzehrt wurde... Endlich werden einige Nahrungsmittel aus dem Schiffsraum erlangt: ein Schinken, ein Gefäß mit Oliven, später eine kleine Schildkröte... Infolge der Lageveränderung der Ladung neigt sich der »Grampus« immer weiter auf die Seite... Bei einer entsetzlichen Hitze, die in diesen Gegenden herrscht, steigern sich die Qualen des Durstes bis zum höchsten Grade, den Menschen erdulden können... August Barnard stirbt am 1. August... Die Brigg kentert in der Nacht vom 3. zum 4.... Arthur Pym und der Mestize, die sich auf den umgekehrten Schiffsrumpf zu retten vermochten, sind nun darauf beschränkt, sich von den Muscheln, die den Rumpf bedecken, zu ernähren, während immer Banden von Haifischen um sie herum schwärmen. Endlich erscheint die Goëlette »Jane« von Liverpool, Kapitän William Guy, als die Schiffbrüchigen schon vierundzwanzig Breitengrade nach Süden zu getrieben waren.
Es widerspricht am Ende noch nicht der Vernunft, diese Ereignisse als Thatsachen hinzunehmen, obwohl die Uebertreibung dabei schon auf die Spitze getrieben erscheint – was aus der Feder des phantasievollen amerikanischen Dichters ja nicht so wunderbar erscheint. Von hier aus wird der Leser erkennen, daß in den sich weiter folgenden Ereignissen der Wahrscheinlichkeit gar nicht mehr Rechnung getragen ist.
Arthur Pym und Dirk Peters erfuhren nach ihrer Unterbringung auf der englischen Goëlette die beste Behandlung. Vierzehn Tage später, als sie sich von ihren Leiden und Entbehrungen völlig erholt hatten, erinnerten sie sich dieser gar nicht mehr – »so sehr wächst die Macht der Vergessenheit mit der Energie des Contrastes«. Unter abwechselnd gutem und schlechtem Wetter erreichte die »Jane« am 13. October die Prinz Eduard-Insel, später in der dem Curse der »Halbrane« entgegengesetzten Richtung, die Crozet-Inseln und nachher die Kerguelen, die ich vor elf Tagen verlassen hatte.
Hier wurde drei Wochen lang auf Seekühe Jagd gemacht, von denen die Goëlette sehr viele erbeutete. Gelegentlich dieses Aufenthaltes war es, wo der Kapitän der »Jane« jene Flasche zurückließ, worin sein Namensvetter von der »Halbrane« einen Brief mit der Meldung gefunden zu haben glaubte, daß William Guy sich von hier aus nach den südlichen Meeren begeben wollte.
Am 22. November verließ die Goëlette die Kerguelen und steuerte zunächst, ganz wie wir in diesem Augenblicke, westlich auf Tristan d'Acunha zu. Diese Insel lief sie vierzehn Tage später an, blieb eine Woche lang hier liegen und segelte am 5. December wieder ab, um unter 53 Grad 15 Minuten südlicher Breite und 47 Grad 38 Minuten westlicher Länge die – unauffindbaren und folglich auch nicht gefundenen – Auroras-Inseln aufzusuchen.
Am 12. December richtet die »Jane« den Curs dem Südpole zu. Am 26. December erscheinen, jenseits des dreiundsechzigsten Grades, die ersten Eisberge und wird das Packeis zuerst gesehen.
Vom 1. bis 14. Januar schwierige Segelmanöver, Passage des Polarkreises inmitten mächtiger Eismassen, dann Umschiffung des Packeises und Weiterfahrt über ein offenes Meer – jenes berühmte eisfreie Meer, das unter 81 Grad 21 Minuten südlicher Breite und 42 Grad westlicher Länge entdeckt wird. Die Lufttemperatur zeigt daselbst 47 Grad Fahrenheit (+ 8·33° Celsius) und das Wasser eine Wärme von 34 Grad Fahrenheit (+ 1·11° Celsius).
Hier überläßt sich, das wird jedermann zugestehen, Edgar Poe schon völlig seiner Phantasie. Noch nie war ein Seefahrer bis zu jenen hohen Breiten vorgedrungen – nicht einmal der Kapitän James Wedell von der englischen Flotte, der im Jahre 1822 über den vierundsiebzigsten Grad nicht hinauskam.
Erscheint nun schon dieser von der »Jane« angeblich erreichte Punkt als nicht glaubhaft, wie viel mehr die Ereignisse, die sich weiter abspielten! Und diese ganz außerordentlichen Ereignisse schildert Arthur Pym – eigentlich Edgar Poe – mit einer unbewußten Naivetät, deren sich niemand versehen möchte. Er zweifelte thatsächlich gar nicht daran, bis zum Pole zu gelangen.
Zunächst erblickt man keinen einzigen Eisberg auf diesem erdichteten Meere. Unzählige Schaaren von Vögeln ziehen darüber hin, und ein Pelikan wird durch einen Flintenschuß erlegt. Man trifft auf einer Eisscholle – also gab es solche doch hier? – einen Polarbären von riesenhafter Größe. Endlich wird vor Steuerbord Land gemeldet... Es ist eine Insel von einer Lieue Umfang, die zu Ehren des Mitbesitzers der »Jane« Bennet-Insel getauft wird.
Diese Insel liegt unter 82 Grad 50 Minuten südlicher Breite und 40 Grad 20 Minuten westlicher Länge, sagt Arthur Pym in seinem Berichte. Ich möchte die Hydrographen aber dringend warnen, auf diese unglaublichen Angaben hin eine Karte der antarktischen Gebiete zu entwerfen.
Je weiter die Goëlette nun nach Süden vordrang, desto weniger verringerte sich natürlich die Abweichung des Compasses, während die Temperatur der Luft und des Wassers bei beständig heiterem Himmel und einem nur wenige Striche um den Nordpunkt wechselnden Winde immer milder wurde.
Leider traten jetzt unter der Mannschaft Symptome von Skorbut auf, und ohne die dringlichen Bitten Arthur Pym's wäre der Kapitän vielleicht umgekehrt.
Es versteht sich von selbst, daß unter dieser Breite und im Monat Januar immerwährender Tag herrschte, und alles in allem that die »Jane« gut daran, ihre Fahrt fortzusetzen, denn am 18. Januar wurde unter 83 Grad 20 Minuten der Breite und 43 Grad 5 Minuten westlicher Länge wieder Land entdeckt.
Eine Insel war es, die zu einer ganzen, im Westen verstreuten Gruppe solcher gehörte.
Die Goëlette segelte auf sie zu und ging bei sechs Faden Wasser vor Anker. Die Boote wurden bemannt. Arthur Pym und Dirk Peters nahmen in dem einen Platz, das erst vor vier, mit bewaffneten Männern besetzten Canots Halt machte – vor »neuen Menschen« sagt der Bericht.
Neuartig erschienen sie allerdings, diese pechschwarzen Eingebornen, die in ein ich schwarzes Thierfell gehüllt waren und einen instinctiven Abscheu vor der »weißen Farbe« haben mochten. Doch wie weit mochte dieser Abscheu wohl im Winter gehen?... Fiel hier etwa auch schwarzer Schnee und sahen die Eischollen, wenn sich solche bildeten, ebenfalls schwarz aus?... Ein reines Phantasiegebilde!
Ohne irgendwelche feindselige Absichten zu zeigen, riefen die Eingebornen fortwährend »anamoo-moo« und »lama-lama«. Als ihre Canots an der Goulette angekommen waren, erhielt der Häuptling Too-Wit Erlaubniß, mit zwanzig seiner Begleiter an Bord zu kommen. Hier verriethen alle das ungeheucheltste Erstaunen, denn sie hielten das Schiff für ein lebendes Wesen und streichelten und liebkosten dessen Tauwerk, Masten und Schanzkleidung. Von ihnen zwischen die Uferklippen hin und durch eine Bucht mit schwarzsandigem Grunde geleitet, ging die Goulette eine Seemeile vom Ufer vor Anker und der Kapitän Guy, der aus Vorsicht einige Geiseln zurückbehalten hatte, betrat das felsige Ufer.
Diese Insel Tsalal war, wenn man Arthur Pym Glauben schenkt, ein höchst merkwürdiges Stückchen Erde. Die Bäume glichen keiner der vielen Arten, die in den verschiedenen Zonen des Erdballs sonst vorkommen; ebenso zeigten die Felsen eine den neueren Mineralogen gewiß unbekannte Schichtung. Im Bette der Rios glitt eine undurchsichtige Flüssigkeit hin, auf der sich andersartige Adern zeigten, die, mit der Messerklinge getheilt, sich nicht wieder zusammen schlossen.
Bis nach Klock-Klock, dem Hauptorte der Insel, war ein Weg von drei Meilen zurückzulegen. Hier sah man nur elende, einzig von schwarzen Fellen umschlossene Wohnstätten, Hausthiere, die dem gewöhnlichen Schwein ähnelten, eine Art Schafe mit schwarzem Vließ, etwa zwanzig Arten Vögel, darunter zahme Albatrosse, Taucherenten, und Galapagos-Schildkröten in überraschender Menge.
In Klock-Klock angelangt, fanden der Kapitän Guy und seine Gefährten eine von Arthur Pym auf zehntausend Seelen geschätzte, aus Männern, Frauen und Kindern bestehende Bevölkerung. Zu fürchten waren die Leute zwar nicht, doch hielt man sie sich, mit Rücksicht auf ihr lärmendes, demonstratives Auftreten, wohl besser drei Schritte vom Leibe. Nach längerem Verweilen im Hause Too-Wit's begab man sich wieder nach dem Ufer, wo es die von den Chinesen so geschätzten Seekühe in solcher Masse gab, daß davon leicht eine tüchtige Ladung zu erbeuten gewesen wäre.
Hierüber suchte man sich auch mit Too-Wit zu verständigen. Der Kapitän Guy ersuchte ihn um die Erlaubniß, Schuppen bauen zu dürfen, worin einige der Leute der »Jane« die Seekühe zurichten sollten, während die Goëlette ihre Fahrt nach dem Pole fortsetzte. Too-Wit ging gern darauf ein, und es wurde noch ab gemacht, daß eine Anzahl Eingeborner bei der Jagd auf die kostbaren Meerbewohner helfen sollte.
Nach Verlauf eines Monats waren die einfachen Einrichtungen vollendet und drei Mann von der Besatzung wurden ausgewählt, auf Tsalal zurückzubleiben. Bisher hatte man nicht die geringste Ursache gehabt, gegen die Eingebornen irgendwelchen Verdacht zu hegen. Vor der letzten Verabschiedung wollte sich der Kapitän Guy noch einmal nach dem Dorfe Klock-Klock begeben, ließ aber aus Vorsicht sechs Mann auf dem Schiffe zurück, dessen Kanonen geladen waren und dessen Anker zum Lichten schon emporgehoben war. Diese Leute sollten sich unbedingt jeder Annäherung von Eingebornen widersetzen.
Von hundert Kriegern begleitet, zog Too-Wit seinen Gästen entgegen. Der Weg führte durch ein schmales Thal zwischen Hügeln und einem fettigen Gestein, einer Art Steatit, hin, wie es Arthur Pym noch niemals gesehen hatte. Weiter folgten einander tausend Windungen zwischen sechzig und achtzig Fuß hohen Abhängen, die einen kaum vierzig Fuß breiten Raum zwischen sich ließen.
Ohne besonderes Mißtrauen, obwohl die Oertlichkeit für einen Ueberfall wie geschaffen schien, marschierten der Kapitän Guy und seine Begleiter eng aneinandergeschlossen dahin.
Rechts und etwas voraus hielten sich Arthur Pym, Dirk Peters und ein Matrose, namens Allen.
An einem Spalt angelangt, der sich an der Seite eines Hügels öffnete, fiel es Arthur Pym ein, dahin einzudringen, um einige Haselnüsse zu pflücken, die von verkrüppelten Büschen in Träubchen herabhingen. Gleich darauf wollte er umkehren, als er sah, daß der Mestize und Allen ihm gefolgt waren. Eben gedachten nun alle drei, den Ausgang aus dem Spalt wieder zu gewinnen, als ein heftiger, plötzlicher Stoß sie zu Boden warf. Gleichzeitig barsten die seifigfetten Massen des Hügels und sie erkannten, daß sie hier lebendig begraben würden....
Lebendig?... Alle drei?... Nein, nur Allen war unter den Schuttmassen schon so tief begraben, daß er nicht mehr athmete.
Sich auf den Knieen hinschleppend und mit dem Messer einen Weg ausbrechend, wobei sie ihr großes Bowiemesser benützten, gelang es Arthur Pym und Dirk Peters, einige Vorsprünge aus etwas widerstandsfähigerem, schiefrigem Thon und von hier eine Art natürlicher Plattform am Ende einer bewaldeten Schlucht zu erreichen, über der ein Streifen blauen Himmels leuchtete.
Von hier aus konnten sie die ganze Umgebung weithin überblicken.
Es war ein ausgedehnter Bergsturz, was sich eben ereignet hatte..... doch ein künstlicher Bergsturz, den die Eingebornen hervorgerufen hatten. Der Kapitän Guy nebst seinen achtundzwanzig Begleitern war, von Millionen Tonnen Erde und Gestein verschüttet, für immer verschwunden....
Das Land umher wimmelte von Eingebornen, die wohl auch von den Nachbarinseln mit dem Verlangen gekommen waren, die »Jane« zu plündern. Siebzig Boote mit Auslegern drangen gegen die Goëlette vor. Die sechs an Bord zurückgebliebenen Leute sandten ihnen eine schlecht gezielte Salve entgegen, darauf eine zweite von Kartätschen und Kettenkugeln, die eine schreckliche Wirkung hatte. Nichtsdestoweniger wurde die »Jane« gestürmt, angezündet und ihre Besatzung umgebracht. Zuletzt entstand eine entsetzliche Explosion, als die Pulverkammer Feuer fing – eine Explosion, die wohl tausend Eingeborne zerriß und ebenso viele verstümmelte, während die übrigen unter dem Rufe »tekeli-li!... tekeli-li!« flüchteten.
Die ganze folgende Woche lebten Arthur Pym und Dirk Peters von Haselnüssen, Rohrdommelnfleisch und Weichthieren, und entgingen auch den Eingebornen, die ihre Gegenwart gewiß nicht mehr vermutheten. Sie hielten sich dabei fast immer in der Tiefe eines ausgangslosen Abgrunds auf, der sich in den Steatit und eine Art Mergel mit eingesprengten Metallkörnern einsenkte.
Er hing nur nach einer Seite mit einer Reihe weiterer Schlünde zusammen, von deren geometrischen Anordnung Arthur Pym eine Skizze entwarf, die in ihrer Gestalt ein Wort arabischen Stammes mit der Bedeutung »Weißes Wesen« und eines ägyptischen Ursprungs, ?FUG??C, mit der Bedeutung »Südgebiet«, wiedergiebt. Man erkennt, daß der amerikanische Verfasser die Unwahrscheinlichkeiten schon auf die Spitze treibt. Ich hatte übrigens nicht nur den Roman »Arthur Gordon Pym, wiederholt gelesen, sondern kannte auch die andern Werke Edgar Poe's. Ich wußte, was man von diesem mehr sensitiven als intellectuellen Geiste zu halten hatte. Einer seiner Kritiker sagt gewiß mit vollem Rechte: Die Phantasie überwiegt bei ihm alle andern Anlagen... eine sozusagen göttliche Anlage, die die tiefsten und geheimsten Beziehungen der Dinge durchdringt, ihre übereinstimmenden und analogen Seiten erkennt....
Unzweifelhaft ist es, daß in diesen Arbeiten bisher niemand etwas anders gesehen hatte, als Schöpfungen der Phantasie. Wie konnte nun, ohne geistesgestört zu sein, ein Mann gleich dem Kapitän Len Guy diese Schöpfungen lebendigster Einbildungskraft für thatsächlich wahr hinnehmen?
Ich fahre weiter fort:
Arthur Pym und Dirk Peters konnten natürlich nicht für immer in ihrem tiefen Schlupfwinkel bleiben, doch erst nach vielen Versuchen gelang es ihnen, an einem Abhange des Hügels hinabzugleiten. Sofort stürzten fünf Eingeborne auf sie zu. Dank ihren Pistolen und der außergewöhnlichen Körperkraft des Mestizen wurden vier davon getödtet, der fünfte aber von den Flüchtlingen mit fortgeschleppt, die am Ufer ein mit drei großen Schildkröten beladenes Boot fanden. Zwanzig Insulaner, die ihnen nacheilten, versuchten vergeblich, sie anzuhalten. Sie wurden zurückgetrieben und das mit den nöthigen Pagaien versehene Boot glitt aufs Meer hinaus und wandte sich nach Süden.
Arthur Pym befand sich jetzt jenseits des vierundachtzigsten Grades südlicher Breite. Es war zu Anfang des März, also kurz vor Eintritt des antarktischen Winters. Im Westen tauchten fünf oder sechs Inseln auf, an denen man aber aus Vorsicht vorüberfuhr. Arthur Pym vertrat immer die Ansicht, daß die Temperatur je näher dem Pole desto milder sein werde. Am Ende der vorn am Boote aufgerichteten zwei Pagaien wurde ein Segel angebracht, das aus den mit einander verbundnen Hemden Arthur Pym's und Dirk Peters' bestand – weißen Hemden, vor deren Farbe der gefangene Eingeborne, der den Namen Nu-Nu führte, einen grenzenlosen Abscheu zu erkennen gab. Begünstigt von einem mäßigen Nordwinde und bei noch fortwährender Tageshelle ging die seltsame Fahrt acht Tage lang fort, über ein Meer ohne jede Eisscholle, denn bei der höheren, auch im Wasser vorhandenen Temperatur hatte sich schon von der Insel Bennet an keine einzige solche gezeigt.
Jetzt drangen nun Arthur Pym und Dirk Peters in ein neues und wunderbares Gebiet ein. Am Horizont lagerte eine breite Schicht grauen, leichten Dampfes mit weit hervorschießenden Ausstrahlungen, wie man solche an Nordlichtern beobachtet. Eine ziemlich rasche Strömung unterstützte noch die Wirkung des Windes. Das Boot glitt über eine außerordentlich flüssige Masse von milchigem Aussehen hin, die von unten her bewegt zu werden schien. Da begann eine weiße Asche niederzufallen, was den Schrecken Nu-Nu's, dessen Lippen sich bis über seine schwarzen Zahnreihen zurückzogen, nur vermehrte.
Am 9. März verdoppelte sich der Aschenregen und nahm die Temperatur des Wassers so sehr zu, daß man die Hand nicht mehr hineinhalten konnte. Die ungeheure Dampfschicht, die den fernen Halbkreis des Horizonts einnahm, glich einem unbegrenzten Wasserfalle, der still von irgend einem hohen, in der Höhe des Himmels verlorenen Walle herniedersank....
Zwölf Tage später breitet sich über die Umgebung die Finsterniß, nur unterbrochen durch leuchtende Ausströmungen, die sich aus der milchigen Tiefe des antarktischen Oceans erheben, in den der nie nachlassende Aschenregen niederrieselt.
Das Boot näherte sich dem Katarakte mit unheimlicher Schnelligkeit, über deren Ursachen Arthur Pym keinen Aufschluß giebt. Zuweilen spaltete sich die Dunstmasse, und dann erblickte man hinter ihr ein Chaos schwankender, unbestimmter Bilder, die von mächtigen Luftströmungen bewegt zu werden schienen....
Mitten durch die entsetzliche Dunkelheit flatterten Schaaren riesiger Vögel von fahlweißer Farbe, die ihr ewiges »tekeli-li« kreischten, und dabei hauchte der von Schaudern ergriffene Wilde seinen letzten Seufzer aus.
Plötzlich stürzt das Boot, von rasender Schnelligkeit gepackt, sozusagen in die Arme des Katarakts, indem sich ein Abgrund öffnet, wie um es zu verschlingen.... Doch gleichzeitig erhebt sich dem Boote gegenüber eine verschleierte menschliche Gestalt von einer Größe, wie man auf Erden wohl noch keine gesehen hat... und die Hautfarbe der Erscheinung war ganz schneeweiß....
Das ist der merkwürdige Roman, den das übermenschliche Genie des größten Dichters der Neuen Welt hervorgebracht hat. Und so endigt er auch... oder endigt er vielmehr nicht. Meiner Ansicht nach hat Edgar Poe, außer Stande, für diese außerordentliche Sachlage eine Lösung zu geben, den Bericht mit »dem plötzlichen und beklagenswerthen Tode seines Helden« abgebrochen, wobei er die Hoffnung durchschimmern ließ, daß auch die fehlenden letzten zwei oder drei Capitel nach ihrer etwaigen Auffindung veröffentlicht werden würden.





