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Michael E. Harrer Hypnose und Achtsamkeit in der Psychoonkologie
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Doch worauf gründet sich die dominierende Rolle dieser beiden herausragenden Soloinstrumente? Milton Erickson und Buddha repräsentieren im vorliegenden Buch die lange Geschichte der beiden Instrumente. Im Orchester zeitgenössischer tiefenpsychologischer, verhaltenstherapeutischer und systemischer Behandlungskonzepte spielen sie als tragendes Grundthema Melodien von den grundlegenden Haltungen zum Leben und Menschsein. Die Symphonie ist einer Patient-Behandler-Beziehung gewidmet, die mittels therapeutisch wirksamer Kommunikation gelingt.
Seit über 40 Jahren fasziniert mich das Phänomen Hypnose und speziell der hypnotisch veränderte Bewusstseinszustand in der psychotherapeutischen Begegnung. Beim Lesen des Buches tauchen in meiner Erinnerung viele in diesen Jahrzehnten mit Hansjörg Ebell gemeinsam erlebte Situationen auf: angeregte Gespräche und kollegiale Diskussionen auf Hypnosetagungen und internationalen Kongressen, in denen wir mit vielen geschätzten Kollegen und Kolleginnen engagiert um das Verständnis von Hypnose und ihrer therapeutischen Anwendung im Bereich von Psychotherapie und Medizin gerungen haben. Das vorliegende Buch ist eine gelungene Integration von Hypnose und Achtsamkeit – sowohl in der Theorie als auch in der Praxis – für den psychoonkologischen Bereich und bietet einen Kanon der wertschätzenden und hilfreichen Kommunikation für Patient und Behandler an.
Im wissenschaftlichen Bereich konnte man sich in den letzten Jahren mehr oder weniger auf die Definition von Elkins et al. (2015) einigen: »Hypnose ist ein veränderter Bewusstseinszustand mit einer fokussierten Aufmerksamkeit, reduziertem peripheren Gewahrsein und erhöhter Fähigkeit, auf Suggestionen zu reagieren.« Gut eingebettet in einen medizinisch-onkologischen Behandlungskontext reicht das differenzierte und gleichzeitig pragmatische Verständnis der Autoren für Hypnose von einem »zeitgenössischen Etikett für ein archaisches Heilungsritual« bis hin zu einem »heilungsfördernden (sozio)psychophysiologischen Zustand«.
Beim Lesen dieses Buches fand ich mich immer wieder in kreativen Trancezuständen wieder, wohl induziert durch die Fülle und Komplexität der hypnotherapeutischen Themen in ihrer Kombination mit psychoonkologischen Inhalten und der Fundierung der Achtsamkeit in der buddhistischen Psychologie. So möchte ich für dessen Lektüre jedem Leser gerne ein Wort von Milton Erickson mitgeben: »Enlightenment is always preceded by confusion« (Der Erleuchtung geht immer Verwirrung voraus).
Norbert Loth Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Hypnose und Hypnotherapie e. V. (DGH)
1Worum es geht – eine Einführung
Ich (Michael E. Harrer, MEH) erinnere mich noch gut an den ersten Patienten, zu dem ich als frischgebackener psychoonkologischer Liaisonpsychiater »notfallmäßig« gerufen wurde. Vor ihm stand ein Tablett voller Infusionsflaschen unterschiedlicher Größe mit roten und klaren Flüssigkeiten, deren Verabreichung er verweigerte. Nachdem ich seine Bedenken verstanden hatte, konnte ich ihn dabei unterstützen, mit seinem Arzt einen neuen, für ihn passenden Behandlungsplan auszuhandeln. Aus einem späteren Gespräch ist mir ein Satz von ihm in Erinnerung geblieben: »Seit ich krank bin, höre ich wieder das Singen der Vögel.«
Inzwischen sind Jahrzehnte vergangen. Als mich Hansjörg Ebell fragte, ob wir gemeinsam ein Buch schreiben, in dem wir versuchen, unsere Erfahrungen in der Begleitung krebskranker Menschen weiterzugeben, war ich begeistert. Es ist recht umfangreich geworden, da wir uns die Aufgabe gestellt haben, viele Anregungen für die Praxis wie Fäden zu einem Teppich mit wiederkehrenden Mustern zu verweben.
Vier Kettfäden: Die Phasen im Verlauf der Erkrankung, das subjektive Leiden der Patienten, die Beziehungsdimension sowie eine therapeutisch wirksame Kommunikation
Das Weben eines Teppichs beginnt mit dem Aufspannen der sogenannten Kettfäden. Das sind jene Fäden, die auf einem Webstuhl in Längsrichtung verlaufen und sich durch das gesamte Gewebe ziehen. Als solche sehen wir in unserem Buch vier Themen:
Der erste, in der Mitte ausgespannte Faden strukturiert und gliedert. Er bezieht sich auf die zeitlich-biografische Dimension einer Krebserkrankung und die idealtypischen Phasen ihres Verlaufs. Dieser beginnt bei der Diagnostik, Diagnosemitteilung und Therapieplanung. Es folgt die Zeit der Therapie bis hin zur Heilung und einer notwendigen Neuorientierung als Überlebender oder »Survivor« (Abschn. 8.1.2). Die Krankheit kann aber auch chronisch verlaufen, und Rezidive sind jederzeit möglich. Wenn eine Krebserkrankung zum Tode führt, stellt sich die Aufgabe, Menschen in ihrer letzten Krankheitsphase zu begleiten, die dann auch zur letzten Phase ihres Lebens wird.
Inmitten einer hochgerüsteten Hightechmedizin und angesichts des Dominierens eines störungsspezifischen Denkens und Vorgehens auch in der Psychotherapie wollen wir die einzelnen Patientinnen und Patienten mit ihrem subjektiven Erleben und Leiden, aber auch mit ihren Sehnsüchten und Zielen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rücken. So durchzieht das Buch als zweiter Kettfaden die Beschreibung des subjektiven Leidens der Patientinnen und Patienten auf den unterschiedlichen Wegstrecken und mit den phasenspezifischen Bedürfnissen. Die stetige Erinnerung an die Bedürfnisbrille soll die Aufmerksamkeit der begleitenden Behandler umlenken: weg vom Fokus auf zu behebende Symptome und Störungen, hin zu bedürfnisorientierten Zielen.
Der dritte Faden ist ein Menschenbild, das Menschen als soziale und in Beziehungen eingebettete Wesen versteht. So sehen wir jede professionelle Interaktion als eine Begegnung zweier Menschen in ihren Rollen und mit ihrer persönlichen Geschichte. Die Anerkennung der Tatsache, dass beide daran beteiligt sind, bezeichnen wir als intersubjektive Sicht auf jedes Geschehen. Um den Blick auf die Beteiligung der Behandler, insbesondere der Ärztinnen und Ärzte, zu richten, diesen zu schärfen und zur Reflexion anzuregen, bekommt auch deren Perspektive ausdrücklich Raum.
Der vierte Faden ist jener der Kommunikation, die darüber bestimmt, wie diese Begegnungen verlaufen. Wir beschreiben die wünschenswerte Form des kommunikativen Austauschs mit unseren Patientinnen und Patienten als therapeutisch wirksame Kommunikation. Diese Bezeichnung ergibt sich aus der Annahme, dass sich jeder auch noch so kleine Austausch auf eine wohltuende, stärkende, vielleicht sogar heilsame – eben therapeutische – Weise auswirken kann. Therapeutisch wirksame Kommunikation sollte vier Kriterien erfüllen: Sie ist patientenzentriert und bedürfnisorientiert, sie regt zu einem Perspektivenwechsel an, und sie ist in eine bewusst gestaltete therapeutische Beziehung eingebettet.
Ein Pyramidenmodell beschreibt fünf Stufen der Umsetzung einer solchen therapeutisch wirksamen Kommunikation (Abschn. 5.1, Abb. 2). Die ersten drei Stufen betreffen den kommunikativen Alltag in der Onkologie. Sie beziehen sich darauf, wie Patientinnen und Patienten angemessen zu informieren sind sowie ein für sie passender Behandlungsplan erarbeitet und im weiteren Verlauf mit ihnen gemeinsam gestaltet wird – eine Aufgabe, wie sie sich auch beim eingangs erwähnten Patienten stellte. Die vierte und fünfte Stufe der Pyramide beschreiben die Möglichkeiten von Hypnose und Selbsthypnose im psychoonkologischen Kontext.
Drei methodische Schussfäden: Perspektivenwechsel, Hypnose und Achtsamkeit
Beim Weben eines Teppichs dienen Weberschiffchen dazu, die sogenannten Schussfäden quer zu den Kettfäden einzuweben. In unserem Buch sind es drei methodische Schussfäden, die gemeinsam mit den vier Kettfäden das Gewebe unseres Konzepts bilden: der Perspektivenwechsel, die Hypnose und die Achtsamkeit. Ihre Facetten bilden gemeinsam mit dem in ihnen enthaltenen Beziehungsangebot die Mittel und konkreten Vorgehensweisen, mit denen die Prinzipien einer therapeutisch wirksamen Kommunikation verwirklicht werden.
Mit Perspektivenwechsel meinen wir das durchgehende Prinzip, eine Umorientierung der Aufmerksamkeit der Patienten und Patientinnen anzustreben: vom Kämpfen gegen etwas zum Hinbewegen auf etwas zu, was ihnen im Leben wichtig und wertvoll ist und Sinn gibt – weg von Vermeidungszielen, hin zu Annäherungszielen; weg von der einengenden Fokussierung auf die Krankheit und ihre Symptome, hin zu einem Blick auf die gesunden Anteile und Ressourcen und auf das, was Gesundheit und Resilienz fördert. Ein weiterer Perspektivenwechsel ergibt sich durch das Kultivieren eines wohlwollenden »inneren Beobachters« im Rahmen der Achtsamkeitspraxis.
Bei derHypnose legen wir den Schwerpunkt darauf, zwei natürliche Fähigkeiten zu nutzen. Menschen können sich gleichsam selbst hypnotisieren. Das kann zu einengenden »Problemtrancen« führen, die sie wie das sprichwörtliche Kaninchen beim Anblick einer Schlange erstarren lassen. Auf der anderen Seite kann die Wirksamkeit von Suggestionen und Autosuggestionen dazu beitragen, sich eigenen Zielen anzunähern. Die zweite menschliche Fähigkeit besteht darin, Bewusstseinszustände einzunehmen, in denen sich Möglichkeitsräume erschließen, die im Alltagsbewusstsein nicht zugänglich sind. Alle Kulturen in der Geschichte der Menschheit haben Heilungsrituale entwickelt, um diese Räume zu öffnen. Getragen von einer Sicherheit gebenden und Zuversicht vermittelnden therapeutischen Beziehung wird es möglich, sich wieder dem zuzuwenden, was einem im Leben wichtig ist, guttut und Heilungsprozesse anregt. Bei der Anwendung von Hypnose heben wir insbesondere zwei Aspekte heraus: zum einen ideomotorische Phänomene, die dazu dienen, das Vertrauen in unwillkürliche Prozesse und das eigene Unbewusste zu stärken und zu nutzen; zum anderen die Arbeit mit Persönlichkeitsanteilen, die Menschen in ihrer inneren Vielfalt und ihren oft widersprüchlichen Bedürfnissen abholt und begleitet. Hypnose wird als intersubjektiver Austausch verstanden, als Resonanzprozess der Wechselwirkung zweier Individuen – insbesondere auch mit ihren unbewussten Anteilen.
Achtsamkeit wird als Basiskompetenz von Therapeutinnen und Therapeuten beschrieben. Sie ermöglicht ihnen, sich ihren Patientinnen und Patienten in einem Zustand zur Verfügung zu stellen, der geprägt ist durch eine verkörperte und wohlwollende Präsenz und die Offenheit, sich in sie einzustimmen, einzufühlen und sich auf ihre Welt einzulassen. Im Kern der Achtsamkeitspraxis steht die Kultivierung eines inneren Beobachters, mit dessen Hilfe der Therapeut auch seine eigene Innenwelt und sein Handeln freundlich beobachtet und auf das Patientenwohl ausrichtet. Drei Facetten der Achtsamkeit sind in der Psychoonkologie für die Betroffenen von besonderer Bedeutung. Zum einen die Fokussierung auf den gegenwärtigen Moment, die in der Bemerkung des anfangs zitierten Patienten deutlich wird. Sie trägt bei aller Unsicherheit über die Zukunft zur Lebensqualität in der Gegenwart bei. Die anderen beiden Facetten, die Raum bekommen, sind Akzeptanz und Selbstmitgefühl.
Das Bild des Teppichwebens könnte fälschlicherweise eine lineare zeitliche Abfolge der einzelnen Fäden und Bausteine suggerieren. Meist sind mehrere, manchmal sogar alle Fäden gleichzeitig wirksam und bedingen einander. Als Metapher für diese Gleichzeitigkeit, Verwobenheit und wechselseitige Bedingtheit bietet sich ein Gleichnis aus der hinduistischen Mythologie an: Indras Netz. Es beschreibt ein unendlich großes Netzwerk von Fäden, das sich über dem Palast der Gottheit Indra auf dem Berg Meru ausspannt. In jedem Knotenpunkt des Netzes findet sich ein Juwel mit unendlich vielen Facetten, in denen sich alle anderen Juwelen widerspiegeln. Eine multiperspektivische Sicht, wie wir sie vermitteln wollen, hat stets mehrere dieser Facetten im Blick und was sich in ihnen spiegelt. Dadurch eröffnet sich die Wahl, welche man aufgreift. Im Sinne der Spiegelung begegnen wir den gleichen Themen stets auf neue Weise, wenn sie sich in unterschiedlichen Juwelen widerspiegeln und sich dabei weitere Bedeutungen enthüllen. Querverweise in diesem Buch sollen darauf aufmerksam machen und dabei helfen, diese Verbindungen zu knüpfen und ihnen nachzugehen.
Es bleibt Ihnen als Leserin oder Leser überlassen, wo und wie Sie in das Buch einsteigen. Wir vertrauen darauf, dass es Ihnen gelingt, die Fäden und Juwelen des Netzes immer umfassender zu einem für Sie persönlich sinnvollen Ganzen zu integrieren und mit Ihren eigenen Erfahrungen zu verknüpfen.
Für wen ist unser bunter Teppich gedacht?
Dieser Teppich passt auf den Boden eines Therapieraums, in dem Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten Menschen mit einer onkologischen Erkrankung begleiten. Er vermittelt Einblicke in die Psychoonkologie und deren Konzepte, aber auch in die Themen und Bedürfnisse der Betroffenen im Verlauf der Erkrankung, und er soll inspirieren. Unser Teppich soll einen guten Boden für alle Berufsgruppen bilden, die in der psychosozialen Onkologie tätig sind, sei es in der klinischenPsychologie, der Sozialarbeit, der Seelsorge, der Beratung oder in anderen Bereichen. Um Personen aus allen Herkunftsberufen den Zugang zu unseren Konzepten zu erleichtern, werden viele der Fachbegriffe in einem Glossar erklärt.
Wir wünschen uns sehr, dass sich Ärztinnen und Ärzte aus der Onkologie von unserem Beitrag angesprochen fühlen. Ihnen obliegt es ja, ihre Patientinnen und Patienten angemessen zu informieren, einen Behandlungsplan zu erstellen, die medizinischen Therapien durchzuführen und immer wieder an die individuellen Gegebenheiten anzupassen. Patienten sind auf eine gelingende Kommunikation mit ihren Behandlern angewiesen, die wiederum die Grundlage jeder psychoonkologischen Begleitung bildet.
Wir sprechen auch Hausärzte an, die krebskranke Menschen oft über viele Jahre begleiten; ebenso Pflegepersonen, die in ihrem unmittelbaren und kontinuierlichen Kontakt mit Patienten im stationären Bereich oder in der ambulanten Krankenversorgung an einer therapeutisch wirksamen Kommunikation interessiert sind. Vieles von dem, was wir vermitteln wollen, gilt nicht nur in der Onkologie, sondern auch bei anderen chronischen Krankheiten. Letztendlich sollen unsere Anregungen den kranken Menschen zugutekommen, und vielleicht finden auch diese in unserem Buch etwas Hilfreiches, und sei es, dass sie durch die Lektüre genauer herausfinden und klarer formulieren können, was sie sich von ihren professionellen Begleitern wünschen.
Unabhängig von ihrem beruflichen Hintergrund will das Buch all jene Personen erreichen, die sich sowohl konzeptuell als auch im konkreten Vorgehen einen Überblick über eine patientenzentrierte Onkologie verschaffen wollen. Es richtet sich an alle, die sich dafür interessieren, welche Möglichkeiten Hypnose und Achtsamkeit für die professionelle Zusammenarbeit mit lebensbedrohlich und chronisch kranken Menschen allgemein bieten.
Einladung zur Resonanz
Wir hoffen, Sie für die Komplexität begeistern zu können, die unserer multiperspektivischen und vernetzten Sichtweise innewohnt. Wer einfache, störungsspezifische Rezepte erwartet, wird enttäuscht werden. Wer sich von der Vielfalt der in diesem Buch anklingenden Sichtweisen und Möglichkeiten inspirieren lässt, kann im Vertrauen auf eigene kluge bewusste und unbewusste innere Anteile neugierig sein, was vom Angebotenen Resonanz auslöst und Ihnen in der Begegnung mit Ihren Patientinnen und Patienten im passenden Augenblick wieder einfällt.
Und damit sind wir bei der letzten Metapher, die unser Buch durchzieht und unser Denken prägt. Sie stammt aus dem Bereich der Musik: Resonanz. Resonanz bedeutet ein Schwingen auf derselben Wellenlänge, das Verbindung schafft. Resonanzerfahrungen in menschlichen Beziehungen und mit der Natur können verwandeln und Verstummtes wieder zum Klingen bringen. Sie sind heilsam und können beglücken – wie das Singen der Vögel. Für einen Patienten auf mitfühlende Weise präsent zu sein, sich auf ihn einzustimmen und mit ihm in Resonanz zu gehen, ist die Basis jeder Therapie und für sich allein schon heilsam. Menschen einzuladen, mit sich selbst in Resonanz zu sein, mit dem, was sie im Kern ausmacht und sie lebendig werden lässt, ist der Weg, den wir vorschlagen.
In diesem Sinne wünschen wir uns, dass unser Buch zu vielen gelingenden Resonanzerfahrungen beitragen kann.
Salzburg und München im Frühling 2021 Michael E. Harrer und Hansjörg Ebell
Anmerkung: Uns ist wichtig, zumindest in der Einführung ausdrücklich Leserinnen und Leser anzusprechen, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, Ärztinnen und Ärzte, Frauen und Männer aus allen Berufsgruppen, aber auch Patientinnen und Patienten, Klientinnen und Klienten. Wenn wir in der Folge das generische Maskulinum verwenden, dann tun wir das auf Wunsch des Verlags im Sinne einer leichteren Lesbarkeit.
Als Ärzte sprechen wir in diesem Buch von Patienten (und nicht von Klienten), auch um das mit der Krankheit verbundene Leiden zu würdigen (lat. patiens, dt. »erduldend, leidend«). Wenn wir handelnde und behandelnde Personen als Behandler bezeichnen, meinen wir Vertreter und Vertreterinnen aller in einer zeitgemäßen interdisziplinären onkologischen Versorgung beteiligten Berufsgruppen, deren Aufgaben und Themen sich überschneiden.
2Begleitung ein Stück des Weges: Die Geschichte von Frau S.
Frau S. wird unmittelbar nach der Geburt ihres ersten, gesunden Kindes mitgeteilt, dass sowohl die chirurgische Entfernung eines Eierstocks als auch eine anschließende Chemotherapie notwendig seien. Die letzten drei Monate ihrer Schwangerschaft muss die 35-jährige Patientin wegen vorzeitiger Wehen in der Universitätsklinik stationär behandelt werden. Sie muss strikte Bettruhe einhalten, weil die wehenhemmenden Medikamente die Leber so schwer belasten, dass sie abgesetzt werden müssen. Eine Zyste im linken Eierstock wird immer wieder mittels Ultraschall untersucht. Die häufigen Kontrollen, die von Frau S. als ausweichend erlebten Erklärungen und der besorgte Gesichtsausdruck des untersuchenden Arztes steigern ihre Ängste, es könnte sich um eine bösartige Gewebeveränderung handeln. In der bei der Entbindung mittels Kaiserschnitt entnommenen Gewebeprobe werden dann tatsächlich Krebszellen gefunden. Aus dem Verdacht wird Gewissheit. In einer Folgeoperation wird der betroffene Eierstock entfernt. Bei diesem Eingriff entleert sich Zysteninhalt in den Bauchraum. Darum wird eine anschließende Chemotherapie aus medizinischer Sicht für unbedingt erforderlich gehalten. Der erste Therapiezyklus erfolgt unmittelbar nach der zweiten Operation und löst bei Frau S. extreme Übelkeit mit Erbrechen aus.
Nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus ist Frau S. so erschöpft, dass es für sie unvorstellbar ist, den vorgesehenen zweiten und dritten Zyklus der Chemotherapie als ambulante Nachbehandlung zu überstehen. Ihre Befürchtungen werden dadurch genährt, dass sie im Aufklärungsgespräch daraufhingewiesen wurde, dass die Nebenwirkungen von Chemotherapien in der Regel mit jedem Zyklus stärker würden. Der psychoonkologische Konsiliardienst der Klinik empfiehlt ihr in dieser Situation dringend, psychotherapeutische Unterstützung in Anspruch zu nehmen.
Bei unserem ersten Gespräch in meiner Praxis (Hansjörg Ebell, HE) bekommen die Tragik und Dramatik ihrer Erfahrungen viel Raum: Anstatt nach der Geburt ihr Baby stillen und umsorgen zu können, findet der von der Patientin als »Horrortrip« erlebte stationäre Krankenhausaufenthalt nicht nur kein Ende, sondern setzt sich fort und steigert sich noch weiter. Insbesondere die Aussage des behandelnden Arztes, der ihr die Notwendigkeit einer Chemotherapie eindringlich klar machen wollte, hat Frau S. sehr verängstigt, aber auch wütend gemacht. Bei ihr ist sinngemäß angekommen, sie müsse zustimmen, denn sie wolle ja nicht, dass ihr Kind in vier Jahren nur noch ein Foto von ihr als Erinnerung hat.
Unabhängig davon, wie der genaue Wortlaut gewesen ist oder ob sie den Arzt »nur« falsch verstanden hat, überprüfen wir diese und ähnliche Aussagen in späteren Therapiesitzungen gründlich darauf, welche positiven und/oder negativen Botschaften darin enthalten sind. Nachdem Frau S. Ruhe und Stabilität wiedergewonnen hat, können viele negative Suggestionen bearbeitet und wie alte Munition entschärft werden. Aus hypnotherapeutischer Sicht ist entscheidend, wie die als starke Suggestionen zu betrachtenden Sätze bei der Patientin angekommen sind, und nicht, was genau gesagt wurde.
Frau S. fühlt sich in ihrer Überforderung und Verzweiflung verstanden und angenommen. Allein das führt zu einer spürbaren Beruhigung. Von der Notwendigkeit der vorgeschlagenen Chemotherapie ist sie überzeugt. So konzentrieren wir uns auf eine gemeinsame Suche danach, was ihr helfen könnte, die im zweiten Zyklus verabreichten Medikamente besser zu vertragen und zuversichtlicher in die Zukunft zu schauen trotz ihrer Erschöpfung und der schlimmen Erfahrungen im ersten Therapiezyklus. Frau S. setzt nun ihre Hoffnung darauf, dass die Infusionen auch die letzte Krebszelle, die bei der Gewebeentnahme »entkommen« sein könnte, erreichen und vernichten – auch wenn es dafür keine Garantie gibt.
Nichts ist ihr wichtiger, als möglichst bald in der Lage zu sein, sich um ihr Kind zu kümmern, das bisher vom Ehemann und ihren Eltern zu Hause liebevoll versorgt wird. Als Gegengewicht zu den in den letzten Monaten vorherrschenden Gefühlen von Ohnmacht und Hilflosigkeit macht sie in Hypnose und Selbsthypnose wohltuende und stärkende Erfahrungen.
Erste Hypnose: Nach wenigen Suggestionen, es sich auf ihrem gepolsterten Stuhl mit einer hohen Lehne möglichst bequem zu machen, sich zurückzulehnen und ihr Körpergewicht als angenehme Schwere zu genießen, lehnt Frau S. ihren Kopf zurück – und ihre Augen schließen sich.
»Einerseits wissen Sie, dass Sie hier und heute [Datum] in meiner Praxis sitzen, angenehm schwer auf diesem bequemen Stuhl, andererseits können Sie den Wunsch verspüren, dass Sie viel lieber ganz woanders wären, wo es Ihnen richtig gut geht, wo auch immer das sein mag – an einem Ort oder besser in einem intensiven Erleben oder einer Erfahrung, die Ihnen helfen kann. Eine Erfahrung, die Ihnen erlaubt, all das, was wir vorher auf der bewussten Ebene an Schwierigem und Herausforderndem ausführlich besprochen haben, für eine Weile weit hinter sich zu lassen, um endlich zur Ruhe zu kommen und Kraft zu schöpfen – insbesondere im Hinblick auf die demnächst anstehende zweite Chemotherapie.«
Ihr Gesicht wirkt entspannt. Frau S. atmet ruhig und regelmäßig.
»Wenn Sie nun immer tiefer eintauchen in ein Gefühl des Wohlbefindens und der Sicherheit nach diesen anstrengenden und herausfordernden Wochen, ja Monaten, können Sie jetzt – gespeist aus Ihren guten Erinnerungen – mit allen Sinnesqualitäten, mit dem, was Sie jetzt spüren, sehen und hören, vielleicht sogar riechen und schmecken, erleben, dass es Ihnen richtig gut geht. Je tiefer Sie eintauchen können in dieses intensive und gute Erleben, umso leichter könnte sich eine der beiden Hände anfühlen, während die andere sich immer schwerer, angenehm schwer, anfühlen wird.«
Beide Hände sind auf den Oberschenkeln bequem abgelegt. Die rechte Hand bewegt sich nun ein wenig, rutscht ein paar Millimeter zurück, am ehesten infolge der muskulären Entspannung in den Oberarmen und Schultern.
»Vielleicht kann die rechte Hand sich sogar so leicht anfühlen, dass sie zu schweben beginnt – ganz von allein, ohne Ihr aktives Zutun – als Zeichen dafür, dass Sie immer tiefer eintauchen in Ihr erholsames, gutes Erleben. Ein Erleben, das Ihnen erlaubt, nicht nur jetzt und hier und heute zur Ruhe zu kommen, sondern Ihnen auch gute Dienste erweisen kann, wenn Sie demnächst Ihre nächste Infusion bekommen und dann auf einer bequemen Liege liegen werden und sich ganz auf das konzentrieren können, was Ihnen guttut.«