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Федор Михайлович Достоевский Arme Leute
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Doch wenn der Sohn ihn freundlich empfing, dann wußte er sich vor Freude kaum zu lassen. Sein Gesicht, seine Bewegungen, seine Hände – alles sprach dann von seinem Glück. Und wenn der Sohn mit ihm gar zu sprechen begann, erhob sich der Alte stets ein wenig vom Stuhle, antwortete leise und gleichsam untertänig, fast sogar ehrfürchtig, und immer bestrebt, sich der gewähltesten Ausdrücke zu bedienen, die in diesem Fall natürlich nur komisch wirkten. Hinzu kam, daß er entschieden nicht zu sprechen verstand: nach jeden paar Worten verwickelte er sich im Satz, wurde verlegen, wußte nicht, wo er die Hände, wo er sich selbst lassen sollte – und nachher flüsterte er dann noch mehrmals die Antwort vor sich hin, wie um das Gesagte zu verbessern. War es ihm aber gelungen, gut zu antworten, so war er ganz stolz, zog die Weste glatt, rückte an der Krawatte, zupfte den Rock an den Aufschlägen, und seine Miene nahm sogar den Ausdruck eines gewissen Selbstbewußtseins an. Bisweilen aber fühlte er sich dermaßen ermutigt, daß er geradezu kühn wurde: er stand vom Stuhl auf, ging zum Bücherregal, nahm irgendein Buch und begann zu lesen, gleichviel was für ein Buch es war. Und alles das tat er mit einer Miene, die größte Gleichmut und Kaltblütigkeit vortäuschen sollte, als habe er von jeher das Recht, mit den Büchern des Sohnes nach Belieben umzugehen, und als sei ihm dessen Freundlichkeit nichts Ungewohntes. Einmal aber sah ich zufällig, wie der Alte erschrak, als der Sohn ihn bat, die Bücher nicht anzurühren: er verlor vollständig den Kopf, beeilte sich, sein Vergehen wieder gut zu machen, wollte das Buch zwischen die anderen wieder hineinzwängen, verdrehte es aber, schob es mit dem Kopf nach unten hinein, zog es dann schnell wieder hervor, drehte es um und dann nochmals um und schob es von neuem falsch hinein, diesmal mit dem Rücken voran und dem Schnitt nach außen, lächelte dabei hilflos, wurde rot und wußte entschieden nicht, wie er sein Verbrechen sühnen sollte.
Nach und nach gelang es dem Sohn, den Vater durch Vorhaltungen und gutes Zureden von seinen schlechten Gewohnheiten abzubringen, und wenn der Alte etwa dreimal nach der Reihe nüchtern erschienen war, gab er ihm das nächste Mal fünfundzwanzig oder fünfzig Kopeken, oder noch mehr. Bisweilen kaufte er ihm Stiefel, oder eine Weste, oder eine Krawatte, und wenn der Alte dann in seinem neuen Kleidungsstück erschien, war er stolz wie ein Hahn. Mitunter kam er auch zu uns und brachte Ssascha und mir Pfefferkuchen oder Aepfel und sprach dann natürlich nur von seinem Petinka. Er bat uns, während des Unterrichts aufmerksam und fleißig zu sein, und unserem Lehrer zu gehorchen, denn Petinka sei ein guter Sohn, sei der beste Sohn, den es überhaupt geben könnte, und obendrein, »ein so gelehrter Sohn«. Wenn er das sagte, zwinkerte er uns ganz komisch mit dem linken Auge zu, und sah uns so wichtig und bedeutsam an, daß wir uns gewöhnlich nicht bezwingen konnten und herzlich über ihn lachten. Mama hatte den Alten sehr gern. Anna Fedorowna wurde von ihm gehaßt, obschon er vor ihr »niedriger als Gras und stiller als Wasser« war.
Bald hörte ich auf, mich an dem Unterricht zu beteiligen. Pokrowskij hielt mich nach wie vor nur für ein Kind, für ein unartiges kleines Mädchen, wie Ssascha. Das kränkte mich sehr, denn ich hatte mich doch nach Kräften bemüht, mein früheres Benehmen wieder gut zu machen. Aber vergeblich: ich wurde überhaupt nicht beachtet. Das reizte und kränkte mich noch mehr. Ich sprach ja fast gar nicht mit ihm, außer während des Unterrichts, – ich konnte einfach nicht sprechen. Ich wurde rot und nachher weinte ich irgendwo in einem Winkel – vor Aerger über mich selbst.
Ich weiß nicht, zu was das noch geführt haben würde, wenn uns nicht ein Zufall einander näher gebracht hätte. Das geschah folgendermaßen:
Eines Abends, als Mama bei Anna Fedorowna saß, schlich ich mich heimlich in Pokrowskijs Zimmer. Ich wußte, daß er nicht zu Hause war, doch vermag ich wirklich nicht zu sagen, wie ich auf diesen Gedanken kam, in das Zimmer eines fremden Menschen zu gehen. Ich tat es zum erstenmal, obschon wir über ein Jahr Tür an Tür gewohnt hatten. Mein Herz klopfte so stark, als wollte es zerspringen. Ich sah mich mit einer eigentümlichen Neugier im Zimmer um: es war ganz einfach, sogar ärmlich eingerichtet, von Ordnung war nicht viel zu sehen. Auf dem Tisch und auf den Stühlen lagen Papiere, beschriebene Blätter. Ueberall nichts als Bücher und Papiere! Ein seltsamer Gedanke überkam mich plötzlich: es schien mir, daß meine Freundschaft, selbst meine Liebe wenig für ihn bedeuten könnten. Er war so gelehrt und ich so dumm, ich wußte nichts, las nichts, besaß kein einziges Buch… Mit einem gewissen Neid blickte ich nach den langen Bücherregalen, die fast zu brechen drohten unter der schweren Last. Aerger erfaßte mich, und Groll und Sehnsucht und Wut! – Ich wollte gleichfalls Bücher lesen, seine Bücher, und alle ausnahmslos, und das so schnell als möglich! Ich weiß nicht, vielleicht dachte ich, daß ich, wenn ich alles wüßte, was er wußte, eher seine Freundschaft erwerben könnte, als so, da ich nichts wußte. Ich ging entschlossen zum ersten Bücherregal und nahm, ohne zu zögern, ohne auch nur nachzudenken, den ersten besten Band heraus – zufällig ein ganz altes, bestaubtes Buch – und brachte es, zitternd vor Aufregung und Angst, in unser Zimmer, um es in der Nacht, wenn Mama schlief, beim Schein des Nachtlämpchens zu lesen.
Wie groß aber war mein Verdruß, als ich, in unserem Zimmer glücklich angelangt, das geraubte Buch aufschlug und sah, daß es ein uraltes, vergilbtes und von Würmern halb zerfressenes lateinisches Werk war. Ich besann mich nicht lange und kehrte schnell in sein Zimmer zurück. Doch gerade wie ich im Begriff war, das Buch wieder auf seinen alten Platz zurückzulegen, hörte ich plötzlich die Glastür zum Korridor öffnen und schließen und dann Schritte: jemand kam! Ich wollte mich beeilen, doch das abscheuliche Buch war so eng in der Reihe eingepreßt gewesen, daß die anderen Bücher, als ich dieses herausgenommen, unter dem verringerten Druck sogleich wieder dicker geworden waren, weshalb der frühere Schicksalsgenosse nicht mehr hineinpaßte. Mir fehlte die Kraft, um das Buch hineinzuzwängen. Die Schritte kamen näher: ich stieß mit aller Kraft die Bücher zur Seite, und – der verrostete Nagel, der das eine Ende des Bücherregals hielt und wohl nur auf diesen Augenblick gewartet hatte, um zu brechen, – brach. Das Brett stürzte krachend mit dem einen Ende zu Boden und die Bücher fielen mit Geräusch herab. Da ging die Tür auf und Pokrowskij trat ins Zimmer.
Ich muß vorausschicken, daß er es nicht ausstehen konnte, wenn jemand in seinem Zimmer sich zu tun machte. Wehe dem, der gar seine Bücher anzurühren wagte! Wie groß war daher mein Entsetzen, als alle die großen und kleinen Bücher, die dicken und dünnen, eingebundenen und uneingebundenen herabstürzten, übereinander kollerten und unter dem Tisch und unter Stühlen und an der Wand in einem ganzen Haufen lagen. Ich wollte fortlaufen, doch dazu war es zu spät. »Jetzt ist es aus,« dachte ich, »für immer aus! Ich bin verloren! Ich bin unartig, wie eine Zehnjährige, wie ein kleines dummes Mädchen! Ich bin kindisch und albern!«
Pokrowskij ärgerte sich entsetzlich.
»Das fehlte gerade noch!« rief er zornig. »Schämen Sie sich denn nicht! Werden Sie denn niemals Vernunft annehmen und die Kindertollheiten lassen?« Und er machte sich daran, die Bücher aufzuheben.
Ich bückte mich gleichfalls, um ihm zu helfen, doch er verbot es mir barsch:
»Nicht nötig, nicht nötig, lassen Sie das jetzt! Sie täten besser, sich nicht da einzufinden, wohin man Sie nicht gerufen!«
Meine stille Hilfsbereitschaft, die vielleicht mein Schuldbewußtsein verriet, mochten ihn etwas besänftigen, wenigstens fuhr er in milderem, ermahnendem Tone fort, so wie er noch vor kurzer Zeit als Lehrer zu mir gesprochen:
»Wann werden Sie endlich Ihre Unbesonnenheiten aufgeben, wann endlich etwas vernünftiger werden? So sehen Sie sich doch selbst an, Sie sind doch kein Kind, kein kleines Mädchen mehr, – Sie sind doch schon fünfzehn Jahre alt!«
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1
Ein Stadtteil von Petersburg. E. K. R.
2
Die Hauptstraßen auf Wassilij-Ostroff werden »Linien« genannt. E. K. R.
3
Diminutiv von Pjotr. E. K. R.







