Charles Dickens Weihnachtsmärchen
Weihnachtsmärchen
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Charles Dickens Weihnachtsmärchen

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Fünf Minuten, zehn Minuten, eine Viertelstunde vergingen, aber

es kam nichts. Die ganze Zeit über lag er auf seinem Bett, dem

Kern und Mittelpunkt eines rötlichen Lichtes, das sich darüber

ergoß, als die 35

Glocke die Stunde verkündete, und das, weil es nur Licht war,

viel beunruhigender als ein Dutzend Geister war, da es ihn

unmöglich erraten ließ, was es bedeute oder was es wol e. Ja, er

fürchtete zuweilen, er könnte in diesem Augenblick ein

merkwürdiger Fall von Selbstentzündung sein, ohne den Trost zu

haben, es zu wissen. Endlich jedoch fing er an zu begreifen, daß

die Quelle dieses geisterhaften Lichtes wohl in dem anliegenden

Zimmer sei, aus dem es bei näherer Betrachtung zu strömen

schien. Wie dieser Gedanke die Herrschaft über seine Seele

bekommen hatte, stand er leise auf und schlich in den Pantoffeln

nach der Tür.

In demselben Augenblick, wo sich Scrooges Hand auf die

In demselben Augenblick, wo sich Scrooges Hand auf die

Klinke legte, rief ihn eine fremde Stimme bei Namen und hieß ihn

eintreten. Er gehorchte.

Es war sein eigenes Zimmer. Daran ließ sich nicht zweifeln. Aber

eine wunderbare Umwandlung war mit ihm vorgegangen. Wände

und Decke waren ganz mit grünen Zweigen bedeckt, daß es

aussah wie eine Laube, in der überall glänzende Beeren

schimmerten. Die glänzenden, starren Blätter der Stechpalme,

der Mistel und des Efeus warfen das Licht zurück und erschienen

wie ebenso viele kleine Spiegel. Eine so gewaltige Flamme

loderte die Esse hinauf, wie sie dieses Spottbild eines Kamines

zu Scrooges oder Marleys Zeit seit vielen, vielen Wintern nicht

gekannt hatte. Auf dem Fußboden waren zu einer Art von Thron

Truthähne, Gänse, Wildbret, große Braten, Spanferkel, lange

Reihen von Würsten, Pasteten, Plumpuddings, Austerfäßchen,

glühende Kastanien, rotbäckige Äpfel, saftige Orangen,

appetitliche Birnen, ungeheure Stollen und siedende

Punschbowlen aufgehäuft, die das Zimmer mit köstlichem

Geruch erfül ten. Auf diesem Thron saß behaglich und mit

fröhlichem Angesicht ein Riese, gar herrlich anzuschauen. In der

Hand trug er eine brennende Fackel, fast wie ein Füllhorn

gestaltet, und hielt s ie steil in die Höhe, um Scrooge damit zu

beleuchten, wie er in das Zimmer guckte.

»Nur herein«, rief der Geist. »Nur herein, und lerne mich besser

kennen.«

Scrooge trat schüchtern ein und senkte das Haupt vor dem

Geiste. - Er war nicht mehr der hartfühlende, nichtsscheuende

Scrooge von früher, und obgleich des Geistes Augen hell und

mild glänzten, wünschte er ihnen doch nicht zu begegnen.

»Ich bin der Geist der diesjährigen Weihnachtsnacht«, sagte die

Gestalt. »Sieh mich an.«

Scrooge tat es mit ehrfurchtsvollem Blick. Der Geist war

gekleidet in ein einfaches, dunkelgrünes Gewand, mit weißem

Pelz verbrämt. Die breite Brust war entblößt, als verschmähe sie,

sich zu verstecken. Auch die Füße waren bloß und schauten

unter den weiten Falten des Gewandes hervor; und das Haupt

hatte keine andere Bedeckung, als einen Stechpalmenkranz, in

dem hie und da Eiszapfen glänzten. Seine dunkelbraunen Locken

wallten fessel os auf die Schultern. Sein munteres Gesicht, sein

glänzendes Auge, seine fröhliche Stimme, sein ungezwungenes

Benehmen, alles sprach von Offenheit und 36

heiterem Sinn. Um den Leib trug er eine alte Degenscheide

gegürtet; aber sie war von Rost zerfressen und kein Schwert

steckte darin.

»Du hast meinesgleichen nie vorher gesehen«, rief der Geist.

»Niemals«, entgegnete Scrooge.

»Hast dich nie mit den jüngern Gliedern meiner Familie

»Hast dich nie mit den jüngern Gliedern meiner Familie

abgegeben; ich meine (denn ich bin sehr jung) meine älteren

Brüder, die in den vergangenen Jahren geboren worden sind?«

fuhr das Phantom fort.

»Ich glaube nicht«, sagte Scrooge. »Doch es tut mir leid, es nicht

getan zu haben. Hast du viele Brüder gehabt, Geist?«

»Mehr als achtzehnhundert«, sagte dieser.

»Eine schrecklich große Familie, wenn man für sie zu sorgen

hat«, murmelte Scrooge.

Der Geist der diesjährigen Weihnacht erhob sich.

»Geist«, sagte Scrooge demütig, »führe mich, wohin du willst.

Gestern Nacht wurde ich durch Zwang hinausgeführt und mir

wurde eine Lehre gegeben, die jetzt Wirkung zeigt. Heute bin ich

bereit zu folgen, und wenn du mich etwas zu lehren hast, will ich

gern hören.«

»Berühre denn mein Gewand.«

Scrooge tat wie ihm geheißen und hielt es fest.

Stechpalmen, Misteln, rote Beeren, Efeu, Truthähne, Gänse,

Spanferkel, Braten, Würste, Austern, Pasteten, Puddings,

Früchte und Punsch, al es verschwand blitzschnell. Auch das

Zimmer verschwand, das Feuer, der rötliche Schimmer, die

Zimmer verschwand, das Feuer, der rötliche Schimmer, die

nächtliche Stunde, und sie standen in den Straßen der Stadt, am

Morgen des Weihnachtstages, wo die Leute - denn es war sehr

kalt - eine rauhe, aber fröhliche und nicht unangenehme Musik

machten, indem sie den Schnee von dem Straßenpflaster und

den Dächern der Häuser zusammenfegten. Und daneben standen

die Kinder und freuten sich und kreischten, wenn die

Schneelawinen von den Dächern herunterstürzten und in

künstliche Schneestürme zerstoben.

Die Häuser erschienen schwarz und die Fenster noch schwärzer,

verglichen mit der faltenlosen, weißen Schneedecke auf den

Dächern und dem schmutzigeren Schnee auf den Straßen. Dort

war er von den schweren Rädern der Wagen und Karren in tiefe

Furchen gepflügt; Furchen, die sich hundert- und aberhundertmal

kreuzten, wo eine Straße abging, und die in dem dicken, gelben

Schmutz und halberstarrten Wasser labyrinthische Gerinnsel

bildeten. Der Himmel war trübe, und selbst die kürzesten

Straßen schienen sich in einem dicken Nebel zu verlieren, dessen

schwerere Teile in einem rußigen Regen niederfielen, als hätten

alle Essen von England s ich auf einmal entzündet und qualmten

jetzt nach Herzenslust. Es war in der ganzen Umgebung nichts 37

Heiteres, und doch lag etwas in der Luft, was die klarste

Sommerluft und die hellste Sommersonne nicht hätten verbreiten

können.

Denn die Leute, die den Schnee von den Dächern schaufelten,

waren lustig und mutwilliger Laune. Sie riefen von den Dächern

waren lustig und mutwilliger Laune. Sie riefen von den Dächern

einander zu und wechselten dann und wann einen Schneeball -

ein Pfeil, der harmloser war als manches Wort - und lachten

herzlich, wenn er traf, und nicht minder herzlich, wenn er fehlging.

Die Läden der Geflügelhändler waren noch halb offen und die

der Fruchthändler strahlten in heller Freude. Da sah man - als

wären es Westen lustiger alter Herren - große runde,

dickbäuchige Körbe mit Kastanien an den Türen lehnen oder in

ihrem apoplektischen Überfluß auf die Straße rol en. Da sah man

braune, umfangreiche, spanische Zwiebeln, in ihrer Fettigkeit

spanischen Mönchen gleichend und mutwil ig den Mädchen

winkend, die vorübergingen und verschämt nach dein

Mistelzweig schielten. Da sah man Birnen und Äpfel zu

Pyramiden aufeinandergepackt: Trauben, die der Kaufmann in

seiner Gutmütigkeit recht augenfällig im Gewölbe hängen ließ,

daß den Vorübergehenden der Mund gratis wässerte, Haufen

von Haselnüssen, bemoost und braun, mit ihrem frischen Duft an

vergangene Streifzüge im Wald durch das raschelnde, fußhohe,

welke Laub erinnernd, Norfolk-Biffins, fett und kraus, mit ihrer

Bräune von den gelben Orangen abstechend und gar dringlich

bittend, daß man sie nach Hause trage und nach Tische esse. Ja,

selbst die Gold-und Silberfische, die in einem Glase mitten unter

den erlesenen Früchten standen, schienen zu wissen, daß etwas

Besonderes los sei, obgleich sie von einem dick- und kaltblütigen

Geschlecht waren, und schwammen um ihre kleine Welt in

langsamer und leidenschaftsloser Bewegung.

Ach die Kolonialwarenläden! Fast geschlossen waren sie,

Ach die Kolonialwarenläden! Fast geschlossen waren sie,

vielleicht ein oder zwei Laden vorgesetzt: aber welche

Herrlichkeiten sah man durch diese Öffnungen! Nicht al ein, daß

die Waagschalen mit fröhlichem Klingklang auf dem Ladentisch

rumorten, oder daß der Bindfaden so munter von seiner Rolle

schnurrte, oder daß die Büchsen blitzschnell hin und her fuhren

wie durch Zauberei, oder daß der Mischgeruch von Kaffee und

Tee der Nase so wohl tat, nicht daß die Rosinen so

wunderschön, die Mandeln so außerordentlich weiß, die

Zimtstengel so lang und gerade, die andern Gewürze so köstlich,

die eingemachten Früchte so dick mit geschmolzenem Zucker

belegt waren, daß der kälteste Zuschauer entzückt wurde; nicht

al ein, daß die Feigen so saftig und fleischig waren, oder daß die

Brignolen in bescheidener Koketterie in ihren verzierten Büchsen

erröteten, oder daß alles so gut zu essen oder so schön in seinem

Weihnachtskleid war: das war es nicht al ein. Die Kaufenden

waren auch alle so eifrig und eilig in der Vorfreude auf das Fest,

daß sie in der Türe gegeneinanderrannten, wie von Sinnen mit

ihren Körben zusammenstießen und ihre Einkäufe vergaßen und

wieder zurückliefen, um sie zu holen, und tausend ähnliche

Irrtümer in der bestmöglichen Laune begingen, während der

Kaufmann und seine Leute so frisch und froh waren, daß die

blanken Herzen, die ihre Schürzen hinten zusammenhielten, ihre

eigenen hätten sein können.

38

Aber bald riefen die Glocken nach den Kirchen und den

Aber bald riefen die Glocken nach den Kirchen und den

Kapellen, und die Leute gingen in ihren besten Kleidern und

ihren feiertäglichsten Gesichtern durch die Straßen. Und zu

derselben Zeit strömten aus den Nebenstraßen und Gäßchen und

namenlosen Winkeln zahllose Leute, die ihr Mittagessen in die

Backstuben trugen. Der Anblick dieser Armen und doch so

Glücklichen schien des Geistes Teilnahme am meisten zu erregen,

denn er blieb mit Scrooge neben eines Bäckers Tür stehen, und

während er die Deckel von den Schüsseln nahm, als die Träger

vorübergingen, bestreute er ihr Mahl mit Weihrauch seiner

Fackel. Und es war eine gar wunderbare Fackel, denn ein

paarmal, als einige von den Leuten zusammengerannt waren und

darüber heftige Worte fielen, besprengte er sie mit etlichen

Tropfen Tau daraus, und ihre gute Laune war augenblicklich

wiederhergestel t. Denn sie sagten, es sei eine Schande, sich am

Weihnachtstag zu zanken.

Jetzt schwiegen die Glocken, und die Läden der Bäcker wurden

geschlossen: und doch schwebte noch ein Schatten von al en

diesen Mittagessen und dem Fortgang ihrer Zubereitung in dem

getauten, nassen Fleck über jedem Ofen; und vor ihnen rauchte

das Pflaster, als kochten selbst die Steine.

»Ist eine besondere Kraft in dem, was deine Fackel ausstreut?«

fragte Scrooge.

»Ja. Meine eigene.«

»Und wirkt sie auf jedes Mittagsmahl an diesem Tag?« fragte

Scrooge.

»Auf jedes, sofern es gern gegeben wird. Auf ein ärmliches am

meisten.«

»Warum auf ein ärmliches am meisten?«

»Weil das meiner Kraft am meisten bedarf«

»Geist«, sagte Scrooge nach kurzem Nachdenken, »mich

wundert's, daß du von allen Wesen auf den vielen Welten um uns

herum wünschen sol test, diesen Leuten die Gelegenheit eines

unschuldigen Genusses zu rauben.«

»Ich?« rief der Geist.

»Du willst ihnen die Mittel nehmen, jeden siebten Tag zu Mittag

zu essen, und doch ist das der einzige Tag, wo sie überhaupt zu

Mittag essen können«, sagte Scrooge.

»Ich?« rief der Geist.

»Du willst doch Backstuben und ähnliche Plätze am siebten Tag

geschlossen halten - das kommt doch auf dasselbe heraus.«

»Ich?« rief der Geist.

»Verzeih mir, wenn ich unrecht habe. Es ist in deinem Namen

»Verzeih mir, wenn ich unrecht habe. Es ist in deinem Namen

geschehen oder wenigstens in dem deiner Familie«, sprach

Scrooge.

»Es gibt Menschen auf Eurer Erde«, entgegnete der Geist, die

uns kennen wol en und die ihre Taten des Stolzes, der Mißgunst,

des Hasses, des Neides, 39

des Fanatismus und der Selbstsucht in unserm Namen tun; die

uns in allem, was zu uns gehört, so fremd sind, als hätten sie nie

gelebt. Bedenke dies und schreibe ihre Taten ihnen selbst zu und

nicht uns.«

Scrooge versprach es, und sie gingen weiter in die Vorstadt,

unsichtbar wie bisher. Es war eine wunderbare Eigenschaft des

Geistes (Scrooge hatte sie bei dem Bäcker bemerkt), daß er, bei

seiner riesenhaften Gestalt, doch überal leicht Platz fand, und daß

er unter einem niedrigen Dach ebenso schön und gleich einem

übernatürlichen Wesen dastand, wie in einem geräumigen, hohen

Saal.

Vielleicht war es die Freude, die der gute Geist darin fühlte,

diese Macht zu zeigen, viel eicht auch seine warmherzige,

freundliche Natur und seine Teilnahme mit allen Armen, was ihn

freundliche Natur und seine Teilnahme mit allen Armen, was ihn

gerade zu Scrooges Kommis führte: denn er ging wirklich hin und

nahm Scrooge mit, der sich an seinem Gewand festhielt. Auf der

Schwel e stand der Geist lächelnd still und segnete Bob Cratchits

Wohnung mit dem Tau seiner Fackel. Denkt doch! Bob hatte

nur fünfzehn ›Bobs‹ die Woche; er steckte sonnabends nur

fünfzehn seiner Namensvettern in die Tasche, und doch segnete

der Geist der dies jährigen Weihnacht sein Haus.

Im Zimmer stand Mr. Cratchits Frau in einem ärmlichen, zweimal

gewendeten Kleid, schön aufgeputzt mit Bändern, die billig sind,

aber für sechs Pence hübsch genug aussehen. Sie deckte den

Tisch, und Belinda, ihre zweite Tochter, half ihr dabei, während

Master Peter mit der Gabel in eine Schüssel voll Kartoffeln stach

und die Spitzen seines ungeheuren Hemdkragens (Bobs

Privateigentum, seinem Sohn und Erben zu Ehren des Festes

geliehen) in den Mund nahm, voller Stolz, so schön angezogen zu

sein, und voll Sehnsucht, sein weißes Hemd in den fashionablen

Parks zur Schau zu tragen. jetzt kamen die zwei kleinen

Cratchits, ein Mädchen und ein Knabe, hereingesprungen und

schrien, daß sie an des Bäckers Tür die gebratene Gans

gerochen und gewußt hätten, es sei ihre eigene, und in freudigen

Träumen von Salbei und Zwiebeln tanzten sie um den Tisch und

erhoben Master Peter Cratchit bis in den Himmel, während er

(aber gar nicht stolz, obgleich ihn der Hemdkragen fast erstickte)

in das Feuer blies, bis die Kartoffeln hochquollen und an den

Topfdeckel klopften, daß man sie herauslassen und schälen

möge.

möge.

»Wo nur der Vater bleibt?« fragte Mrs. Cratchit.

Und dein Bruder Tiny Tim; und Martha kam vorige Weihnachten

eine halbe Stunde früher.«

»Hier ist Martha, Mutter«, sagte ein Mädchen, zur Tür

hereintretend.

»Hier ist Martha, Mutter«, riefen die beiden kleinen Cratchits.

»Hurra, so eine Gans, Martha!«

»Gott grüß dich, liebes Kind! Wie spät du kommst!« sagte Mrs.

Cratchit, sie mehrmals küssend und ihr mit zutulichem Eifer Schal

und Hut abnehmend.

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»Wir hatten gestern abend viel zurecht zu machen«, antwortete

das Mädchen,

»und mußten heute mit al em fertig werden, Mutter.«

»Nun, es schadet nichts, da du doch da bist«, sagte Mrs.

Cratchit. »Setz dich ans Feuer, liebes Kind, und wärme dich.«

»Nein, nein, der Vater kommt«, riefen die beiden kleinen

Cratchits, die überall zu gleicher Zeit waren. »Versteck dich,

Martha, versteck dich!«

Martha, versteck dich!«

Martha versteckte sich, und jetzt trat Bob herein, der Vater.

Wenigstens drei Fuß, ungerechnet der Fransen, hing der Schal

auf seine Brust herab, und die abgetragenen Kleider waren

geflickt und gebürstet, um ihnen ein Ansehen zu geben. Tiny Tim

saß auf seiner Schulter. Der arme Tiny Tim! Er trug eine kleine

Krücke, und seine Glieder wurden von eisernen Schienen

gestützt.

»Nun, wo ist unsere Martha?« rief Bob Cratchit und schaute im

Zimmer herum.

»Sie kommt nicht«, sagte Mrs. Cratchit.

»Sie kommt nicht?« sagte Bob mit einem plötzlichen Absinken

seiner fröhlichen Laune; denn er war den ganzen Weg von der

Kirche Tims Pferd gewesen und in vollem Laufe nach Hause

gerannt. »Sie kommt nicht zum Weihnachtsabend?«

Martha wol te ihm keinen Schmerz verursachen, selbst nicht aus

Scherz, und so trat sie hinter der Tür hervor und schlang die

Arme um seinen Hals, während die beiden kleinen Cratchits sich

Tiny Tims bemächtigten und ihn nach dem Waschhaus trugen,

damit er den Pudding im Kessel singen höre.

»Und wie hat sich der kleine Tim aufgeführt?« fragte Mrs.

Cratchit, als sie Bob wegen seiner Leichtgläubigkeit geneckt und

Bob seine Tochter nach Herzens lust geküßt hatte.

Bob seine Tochter nach Herzens lust geküßt hatte.

»Wie ein Goldkind«, sagte Bob, »und noch besser. Ich weiß

nicht, wie es kommt, aber er wird jetzt so träumerisch vom

Alleinsitzen und sinnt sich die seltsamsten Dinge zurecht. Heute,

als wir nach Hause gingen, sagte er, er hoffe, die Leute sähen ihn

in der Kirche, denn er sei ein Krüppel, und es wäre vielleicht gut

für sie, sich am Christtag an den zu erinnern, der einst Lahme

gehen und Blinde sehen machte.«

Bobs Stimme zitterte, als er dies sagte, und zitterte noch mehr,

als er hinzufügte, daß Tiny Tim stärker und gesünder werden

würde.

Man hörte jetzt seine kleine Krücke auf dem Fußboden, und ehe

noch mehr gesprochen ward, war Tim wieder da und wurde von

seinem Bruder und seiner Schwester nach seinem Stuhl neben

dem Feuer geführt. Während jetzt Bob, seine Rockaufschläge

zur Schonung in die Höhe krempelnd - als ob es möglich

gewesen wäre, sie noch mehr abzutragen -, in einer Bowle aus

Gin und Zitronen eine heiße Mischung zubereitete und sie

umrührte und wieder an das Feuer setzte, damit s ie s ich warm

halte, gingen Master Peter und die zwei 41

allgegenwärtigen kleinen Cratchits die Gans holen, mit der sie

bald in feierlichem Zug zurückkehrten.

Daraufhin erhob sich ein solcher Lärm, als wäre eine Gans der

Daraufhin erhob sich ein solcher Lärm, als wäre eine Gans der

seltenste al er Vögel, ein gefiedertes Wunder, gegen das ein

schwarzer Schwan etwas ganz Gewöhnliches ist - und wirklich

war sie es auch in diesem Hause. Mrs. Cratchit ließ die

Bratenbrühe aufwallen, Master Peter schmorte die Kartoffeln mit

unglaublichem Eifer, Miß Belinda machte die Apfelsauce süß,

Martha wischte die gewärmten Tel er ab, Bob nahm Tiny Tim

neben sich in eine behagliche Ecke am Tisch, die beiden kleinen

Cratchits stellten die Stühle zurecht, wobei sie sich nicht

vergaßen, und nahmen ihren Posten ein, den Löffel in den Mund

steckend, um nicht nach Gans zu schreien, ehe die Reihe an sie

kam. Endlich wurde das Gericht aufgetragen und das Tischgebet

gesprochen. Darauf folgte eine atemlose Pause, als Mrs. Cratchit

das Vorschneidemesser langsam von der Spitze bis zum Heft

betrachtete und sich anschickte, es der Gans in die Brust zu

stoßen. Aber, als s ie es tat und sich der langerwartete Strom der

Füllung ergoß, ertönte um den ganzen Tisch ein freudiges

Gemurmel, und selbst Tiny Tim, durch die beiden kleinen

Cratchits in Feuer gebracht, schlug mit dem Heft seines Messers

auf den Tisch und rief ein schwaches Hurra.

Nie hatte es so eine Gans gegeben. Bob sagte, er glaube nicht,

daß jemals eine solche Gans gebraten worden sei. Ihre Zartheit

und ihr Fett, ihre Größe und ihre Billigkeit waren der Gegenstand

allgemeiner Bewunderung. Mit Hilfe der Apfelsauce und der

geschmorten Kartoffeln gab sie ein hinreichendes Mahl für die

ganze Familie. Und als Mrs. Cratchit einen einzigen kleinen

Knochen noch auf der Schüssel liegen sah, sagte sie mit großer

Knochen noch auf der Schüssel liegen sah, sagte sie mit großer

Freude, sie hätten doch nicht alles aufgegessen! Aber jeder von

ihnen hatte genug, und die kleinen Cratchits waren bis an die

Augenbrauen mit Salbei und Zwiebeln eingesalbt. jetzt wurden

die Teller von Miß Belinda gewechselt, und Mrs. Cratchit verließ

das Zimmer allein, denn sie war zu unruhig, Zeugen dulden zu

können, wenn sie den Pudding herausnahm und hereinbrachte.

Wenn er nicht ausgebacken wäre! Wenn er beim Herausnehmen

in Stücke zerfiele! Wenn jemand über die Mauer des

Hinterhauses geklettert wäre und ihn gestohlen hätte, während

sie sich an der Gans erquickten - ein Gedanke, bei dem die

beiden kleinen Cratchits vor Schrecken bleich wurden.

Hallo, eine Dampfwolke! Der Pudding war aus dem Kessel

genommen. Ein Geruch, wie an einem Waschtag! Das war die

Serviette. Ein Geruch wie in einem Speisehaus, mit einem

Pastetenbäcker auf der einen und einer Wäscherin auf der

andern Seite! Das war der Pudding. Nach einer halben Minute

trat Mrs.

Cratchit herein, aufgeregt, aber stolz lächelnd und vor sich den

Pudding haltend, hart und fest wie eine gefleckte Kanonenkugel,

in einem Viertelquart Rum flammend und in der Mitte mit der

festlichen Stechpalme geschmückt.

Oh, welch wunderbarer Pudding! Bob Cratchit erklärte mit

ruhiger und sicherer Stimme, er halte das für das größte

Kochkunststück, das Mrs. Cratchit 42

Kochkunststück, das Mrs. Cratchit 42

seit ihrer Heirat geliefert habe. Mrs. Cratchit meinte, da die Last

von ihrem Herzen sei, wol e sie nur gestehen, daß sie wegen der

Menge des Mehls gar sehr in Angst gewesen sei. jeder hatte

darüber etwas zu sagen, aber keiner sagte oder dachte, es sei

doch ein zu kleiner Pudding für eine so große Familie. Das wäre

offenbare Ketzerei gewesen. jeder Cratchit würde sich geschämt

haben, an so etwas nur zu denken.

Endlich waren sie mit dem Essen fertig, der Tisch war

abgedeckt, der Herd gesäubert und das Feuer geschürt. Das

Gemisch im Krug wurde gekostet und für fertig erklärt, Äpfel

und Apfelsinen auf den Tisch gesetzt und ein paar Hände voll

Kastanien auf das Feuer geschüttet. Dann setzte sich die ganze

Familie Cratchit um den Kamin in einem Kreis, wie es Bob

Cratchit nannte, obgleich es eigentlich nur ein Halbkreis war,

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