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Tira Beige Rebeccas Schüler
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Ohne dass Rebecca nachfragte, griff Robert den Gesprächsfetzen von eben auf: »Ich bin verheiratet. Habe zwei Söhne, elf und neun. Und du?«
»Ich habe keine Kinder«, erwiderte Rebecca.
»Bist du verheiratet oder hast du einen Partner?«
Rebecca schüttelte den Kopf. Ohne ihrer Mimik anmerken zu lassen, wie sie über ihren Beziehungsstatus dachte, fasste sie zusammen: »Bevor ich vor drei Jahren hierher gezogen bin, habe ich mit einem Mann zusammengelebt. Gute acht Jahre lang. Seitdem gab es nichts Festes mehr.«
Roberts stahlgraue Augen verfinsterten sich. Familienmensch durch und durch, dachte Rebecca.
»Du brauchst kein Mitleid mit mir zu haben«, gab sie schnell zurück, als sie registrierte, dass Roberts unbeschwerte Miene von eben durch ihre Worte gänzlich verschwunden war. »Wir haben uns einvernehmlich getrennt. Es gab ein paar … Probleme.«
Du bist fremdgegangen, Rebecca. Nun gut. Ihr Seitensprung mit ihrem Schüler war schuld. Nachdem Paul die Wahrheit verdaut hatte, war schnell klar, dass es keine Zukunft mit ihm geben würde. Die Partnerschaft stand schon vor ihrer Affäre auf der Kippe. Zum Einsturz gebracht hatte sie letztlich ihre Unfähigkeit, mit Paul über ihre Gefühle reden zu können. Heute wünschte sie, sie hätte sich eher getraut, ihm zu gestehen, wie unglücklich sie die lieblose Partnerschaft gemacht hatte. Die Jahre mit Paul waren sicherlich nicht vergeudet, aber herz- und freudlos.
Nie wieder wollte sie es so weit kommen lassen, sich ihre Gefühle nicht einzugestehen und in einer Partnerschaft zu enden, die nur Stillstand kannte. Nun galt es zu leben, mit jeder Faser des Körpers und der Seele den Moment zu genießen. Nur noch das Hier und Jetzt sollte zählen.
»Lass uns über die Schüler sprechen, die ich bekomme«, schlug sie vor, um nicht mehr an ihren Ex und an die verlorene Liebe zu ihrem Schüler denken zu müssen.
»Lass uns erst mal essen«, machte Robert den Gegenvorschlag, als er sah, dass die Mahlzeit serviert wurde. Die Bedienung stellte den Teller mit der dampfenden Entenbrust auf eine Warmhalteplatte. Dann lief sie davon und brachte als Nächstes den Reis in kleinen, weiß-blauen Porzellanschälchen herbei.
Rebecca nahm sich etwas von dem verführerisch duftenden Fleisch auf ihren Teller. Daneben stapelte sie eine ordentliche Portion von dem Klebereis, der sich schwer vom Porzellanlöffel löste. Wie Kleister hing er daran. Robert schaufelte sich ähnlich viel davon auf seinen Teller drauf.
Es schmeckte in der Tat sehr appetitlich. Ihr neuer Kollege hatte nicht übertrieben.
»Kennst du meine Schüler, die ich bekomme?«, fragte Rebecca kauend.
Robert schluckte seinen Bissen hinunter und sagte: »Ich bin viele Jahre lang Klassenlehrer in dieser Jahrgangsstufe gewesen. Ich kenne alle Schüler sehr gut. Als Tutor muss man sich natürlich noch mal ganz anders um sie kümmern. Man begleitet sie bis zum Abitur, steht ihnen sehr nahe.«
Rebeccas Erfahrung ging bisher nicht über die einer Klassenlehrerin hinaus. Dass sie in dieser Verantwortung nicht erfolgreich war, weil sie keinen Draht zu den Kindern aufbauen konnte, verschwieg sie. Tutorin zu sein, stellte für sie eine gänzlich neue Herausforderung dar. Nun musste sie beweisen, dass sie Empathie besaß und fähig dazu war, die Schüler zu Studierenden zu machen.
»Mein Leistungskurs in Deutsch wird mein Tutorkurs«, sagte Rebecca. »Ich möchte nicht nur unterrichten, sondern die Schüler kennenlernen.« Das Ziel musste diesmal konsequent verfolgt werden, um von vornherein Komplikationen mit den Jugendlichen auszuschließen.
Robert nickte und schob sich einen Happen von der Entenbrust in den Mund, genau wie Rebecca.
»Aber du hast Glück mit deinen Leuten«, antwortete er und lächelte sie mit seinen dicken Wangen an. Seine Kiefermuskulatur wirkte beim Kauen noch verschobener.
»Du hast nur zwölf Schüler in deinem Kurs. Zehn Mädchen und zwei Jungs. Aber die haben es in sich«, deutete Robert verschwörerisch an und schaute von seinem Gericht auf. Sein schelmisches Grinsen verstellte seinen ohnehin schiefen Mund.
»Du meinst, die Jungs haben es in sich?«, wollte Rebecca wissen.
Robert schnitt mit der Gabel ein Stück Entenbrust ab, bevor er tief einatmend sagte: »Ich war der Klassenlehrer von Cedric und Linus und rate dir, ein Auge auf die beiden zu haben.«
Krach!!! Die Gabel kam scheppernd auf dem Porzellanteller auf.
Die beiden Kerle aus der Disco würden ihre neuen Schüler sein?!
»Was ist los?«, fragte Robert, sichtlich erschrocken von dem lauten Geräusch, den das Metall verursacht hatte.
»Nichts. Mir ist die Gabel aus der Hand gefallen«, bekräftigte Rebecca, die Mühe damit hatte, den dicken Klumpen Entenbrust, der sich in ihre Luftröhre verirrt hatte, nach oben zu würgen. Hastig ergriff sie das Sektglas und leerte es in wenigen Zügen.
»Cedric vor allem solltest du im Blick behalten.« Das Geburtstagskind aus der Discothek, ergänzte Rebecca im Geist. »Ziemlicher Draufgänger. Macht immer einen auf cool, tanzt schnell aus der Reihe. Weiß nicht, ob er sich inzwischen mehr von Erwachsenen sagen lässt. In der Unterstufe jedenfalls war er nicht sehr kooperativ.« Seine Worte waren sehr aufschlussreich. »Cedric hat nicht viel auf dem Kasten. Der wird Mühe haben, überhaupt zum Abi zugelassen zu werden. Wenn er Pech hat, vergeigt er das erste Halbjahr, dann kann er seine Zulassung zur Prüfung vergessen.«
Rebecca hörte ihrem neuen Kollegen aufmerksam zu, saugte jede Information, die sie erhielt, ein.
»Und der Zweite?«, fragte sie interessiert nach, nachdem Robert nichts mehr über Cedric sagte.
»Linus ist ein Jahr älter als die anderen. Er kam in der zehnten Klasse an die Schule. Hat seinen Realschulabschluss in der Tasche und will jetzt das Abitur machen. Ja …«, brach Robert seinen Satz ab und kaute am Reis herum.
»Linus ist anders. Wirst du sehen. Bisschen schüchtern, in sich gekehrt. Als er in der zehnten Klasse zu uns stieß, war Cedric derjenige, der ihn in die Außenseiterrolle gedrängt hat.«
Wieder beließ es Robert bei Andeutungen, weil er aufhörte, weiterzusprechen. Stattdessen schob er sich das Gemüse in den Mund.
»Lern’ sie erst mal kennen. Wir haben in Klasse 11 mit jedem Schüler Einzelgespräche geführt.«
»Wozu?«, wollte Rebecca wissen.
»Wenn du als Tutor arbeitest, solltest du deine Schüler sehr genau kennen. Du musst wissen, womit sie Probleme haben, was sie in ihrer Freizeit machen, wie sie an Hausaufgaben herangehen, wie sie mit Stress umgehen. Außerdem ist es gut zu wissen, was sie nach dem Abi machen wollen, um ihnen die nötige Motivation zu geben, an ihrem Traum zu arbeiten. Es schafft eine ganz andere Atmosphäre, wenn du deine Schüler im Vorfeld kennenlernst. Glaub mir, das mache ich schon seit vielen Jahren so, wenn ich in der Oberstufe eingesetzt bin.«
Solche Erkenntnisse waren vollkommen neu für Rebecca. Einzelgespräche. Aber so schloss sie von vornherein Probleme aus und stellte einen persönlichen Draht zu den Schülern her.
»Nutz’ die Kursfahrt dafür«, durchbrach Robert ihre Gedanken.
»Kann ich euch helfen? Ist noch was zu erledigen?«
»Eine Woche vor der Kursfahrt führen wir einen Elternabend durch. Da solltest du auf jeden Fall anwesend sein. Bereite einfach einen Zettel mit der Einladung vor, mehr brauchst du nicht zu tun. Auf dem Elternabend erfährst du dann alles über die Fahrt. Ach so, und wir wollen dich dort natürlich als neue Tutorin vorstellen«, grinste Robert und kratzte das Gemüse von seinem Teller.
Das hatte Rebecca befürchtet. Noch mehr Menschenmassen, die sie musterten.
»Warum fahren wir eigentlich so zeitig im Schuljahr?«, wollte sie wissen. »Normalerweise finden doch Klassenfahrten im Frühjahr und Sommer statt, oder?«
»Ja, das stimmt. Die Abiturienten sollen aber den Kopf frei haben für die Prüfungen, die im Frühling und Sommer stattfinden. Daher nutzen wir den Beginn des Schuljahres zur Abschlussfahrt. Außerdem bekommt man leichter eine Unterkunft, wenn man außerhalb der Saison fährt.«
Robert wischte sich den Mund ab und legte die Serviette beiseite. Auch Rebecca war pappsatt. Vom Essen und von den Infos.
Nach anderthalb Stunden verließen Robert und Rebecca mit vollen Mägen das Restaurant.
»Wir sehen uns am Montag!«, verabschiedete sich der neue Kollege fröhlich und stiefelte in entgegengesetzter Richtung nach Hause.
Rebeccas Wohnung lag nicht weit entfernt von der Gaststätte und ihrer neuen Schule, sodass sie laufen konnte. Bei ihrer alten Arbeitsstätte hatte sie stets das Auto nehmen müssen. Wie praktisch, gleich in der Nachbarschaft zu wohnen.
Die kommenden freien Tage nutzte Rebecca, um akribisch die Stunden vorzubereiten, die sie in der nächsten Woche erwarten würden. Sie hatte an ihrem ersten Tag einen detaillierten Plan erhalten, wie weit die schwangere Kollegin mit ihren Lerngruppen gekommen war. Obwohl ihr letzter Unterricht einige Jahre zurücklag, konnte sie die fehlenden Lerninhalte gut herleiten.
Nachdem Robert ihr von den Schülern erzählt hatte, studierte Rebecca die Klassen- beziehungsweise Kurslisten. Den Leistungskurs in Klasse 12, ihren Tutorkurs, würde sie fünfmal in der Woche zu Gesicht bekommen.
Sie überflog die Namen.
Nächste Woche würde sie wissen, mit wem sie es zu tun hatte. Wenn sie wirklich Einzelgespräche mit den Schülern führen sollte, war sie schon jetzt auf die letzten beiden Namen auf ihrer Liste gespannt. Linus Voigt. Cedric Weise.
Kapitel 3
Am Sonntagnachmittag schälte sich Rebecca in ihren Jogging-Dress, bevor sie das Haus verließ. Sie trug ein rosafarbenes, bauchfreies Top und einen knappen schwarzen Laufrock. Sie war mehr als stolz auf ihre schlanke Figur, die sie mit regelmäßigem Fitnessprogramm in Shape hielt. Rebecca strich über den Stoff der Funktionskleidung und drehte sich vor dem Spiegel nach links und nach rechts, um ihren Körper zu betrachten.
Die klebrige Hitze, die sie an ihrem verschwitzten Körper fühlte, gefiel ihr gar nicht. Genauso wenig wie der glühende Asphalt, der vom Küchenfenster aus sichtbar war. Die Atmosphäre flimmerte durchsichtig und verschleierte die Umgebung. Und doch entschloss sich Rebecca dazu, laufen zu gehen, um nach der Unterrichtsvorbereitung den Kopf frei zu bekommen.
Im Stadtpark traf sie nur auf wenige Familien mit Kindern. Einige der Kleinen, die in Kinderwägen über den anthrazitfarbenen Schotter geschoben wurden, quengelten.
Gegen 14 Uhr hatte sich die Hitze soweit angestaut, dass es nur noch ein Ventil gab. Der Himmel verfinsterte sich schlagartig wie auf ein Kommando hin. Zu diesem Zeitpunkt hatte Rebecca noch gut die Hälfte der Laufstrecke vor sich. Ihre Fitnessarmbanduhr zeigte 3,6 gelaufene Kilometer an. Es grollte bereits und die dunkle Wolkenfront schob immer energischer dunkle Streifen über das Firmament. Bald würde ein Gewitter mit Starkregen einsetzen.
Rebecca spornte sich zu mehr Tempo an, joggte unbarmherzig an den Familien und Pärchen vorbei, die wohl nicht das drohende Unheil witterten, sondern sorglos auf dem Gehweg weiter entlang flanierten. Das Tempo anzuziehen war nicht einfach, weil sich die Temperaturen immer stärker in die Höhe schaukelten und der Druck auf ihren Körper unaufhaltsam zunahm.
Beinah in letzter Sekunde erreichte sie das schützende Dach einer Bushaltestelle, die sich unweit ihrer Wohnung befand. Erste dicke Tropfen prasselten hinab. Völlig ausgepowert stützte sich Rebecca an der Glaswand ab und sah zu, wie der Regenguss den Gehweg mit Pfützen flutete. Sie roch die vom Regen angefeuchtete Erde und sah verzaubert zu, wie der Schauer niederging. Die Regelmäßigkeit, mit der die Tropfen zu Boden knallten, hypnotisierte Rebecca. Sie streckte die Hand in den Guss aus und genoss die Abkühlung, die ihren Arm überzog.
Schwer keuchend rang sie nach Luft, beugte sich nach vorn und starrte auf ihren schlanken Bauch, der sich gleichmäßig hob und senkte. Sie war schon lange nicht mehr so aus der Puste gekommen. Ihre Uhr zeigte einen erhöhten Puls an, den sie so in der Art nicht von sich gewohnt war. Aber der Sport tat ihr gut. Mittlerweile stellte er den wichtigsten Ausgleich für stressige Tage dar. Nach der Trennung von ihrem Partner vor drei Jahren hatte sie sich immer öfter in diese Aktivität geflüchtet und meinte, inzwischen eine passable Langstreckenläuferin abzugeben. Heute war es aber wohl doch ein wenig zu schnell, vor allem zu viel gewesen.
Nach gefühlt einer Viertelstunde des Wartens zog die Regenwand ab und Rebecca schlenderte gemächlich nach Hause, begleitet von leichtem Nieselregen, der sich mit dem Schweiß ihrer Haut vermischte.
Als sie ins Treppenhaus eintrat, umfing sie eine angenehme Kühle, die ihren überhitzten Körper herunterregulierte. Sie sehnte die kalte Dusche herbei. Gleich nach dem Aufschließen der Haustür verzog sie sich ins Bad, wo sie ihren Laufrock und das enge Top loswurde, bevor sie sich unter die Dusche stellte und das kühle Nass genoss. Sie hätte jetzt gern einen Mann an ihrer Seite gehabt, der sie unter dem Wasserstrahl in seinen starken Armen wiegte, seine Schwanzspitze zwischen ihre Beine schob und an dessen Brust sie ihren Busen pressen konnte. Aber da war niemand.
Nackt lief sie ins Schlafzimmer. Die Bettdecke lag noch zerwühlt vom Morgen da. Rebecca legte sich seitlich auf die Matratze. Vom Nachttisch nahm sie einen Auflegevibrator, der als Männerersatz herhalten musste, und legte ihn an ihre Klitoris an. Mit der anderen Hand rieb sie sanft über ihre linke Brustwarze, die sich unter der zarten Berührung aufrichtete. Cedric und Linus waren also in ihrem Tutorkurs. Cedric, die Versuchung und Linus, das Mysterium.
Rebeccas Gedanken kreisten und fanden keinen Halt. Die Erregung musste zur Befriedigung werden. Daher schaltete sie den Auflegevibrator an und ließ ihre Fantasie Achterbahn fahren …
Schulball in ihrer alten Schule. Schon den ganzen Abend über beobachtet sie die Oberstufenschüler dabei, wie sie von Tisch zu Tisch eilen, darauf bedacht, die Gäste zu bewirten.
Es herrscht eine ausgelassene Stimmung im Foyer der Schule, denn es wurde kurzerhand zur Tanzfläche umfunktioniert. Laute Achtzigerjahre-Musik dröhnt aus den Boxen.
Um die Tanzfläche herum stehen Tische, an denen sich die Besucher unterhalten. Immer wieder huschen die Mädchen der Abschlussklassen von einer zur anderen Tafel und nehmen Getränkebestellungen auf. Die Jungen haben sich Anzüge übergeworfen. Sie wirken damit wie Businessmänner. Erwachsen, attraktiv, geradezu verführerisch.
Rebecca steht mit einem Sektglas in der Hand am Rand der Tanzfläche und schaut dabei zu, wie die Tanzwütigen über das Parkett fliegen. Ihr Blick schweift durch den Saal und bleibt auf Cedric und Linus hängen. Die Jungs lungern vor der Tanzfläche herum und betrachten ihre Mitschülerinnen, die sich in ihren knappen Kleidern und Röcken an ihnen vorbeistehlen. Dabei verfangen sich die Blicke der Jungen auf den knackigen Hintern der Mädels.
Permanent flüstert Cedric seinem Freund etwas ins Ohr und lächelt dabei schlüpfrig. Er streicht sich mit der Handfläche ein paar blonde Strähnen, die in sein Gesicht ragen, aus der Stirn.
Ohne Vorwarnung fixieren seine Augen Rebecca und wieder zeichnet sich ein schurkischer Zug auf seinem Gesicht ab. Sein Blick tastet ihren Körper ab. Hinter vorgehaltener Hand tuschelt er Linus etwas ins Ohr. Irgendwie schmeichelt es Rebeccas Ego, ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen zu haben. Andererseits ist ihr die Musterung durch ihre Schüler unangenehm. Wollen sie sich über sie lustig machen?
Rebecca stellt das Glas auf dem Tisch ab und blickt ein letztes Mal verstohlen in Richtung der Jugendlichen, bevor sie sich aus dem Schulgebäude hinaus begibt. Sofort schlägt ihr die unverbrauchte Abendluft entgegen. Da sie ihren Gedanken nachhängen und allein sein möchte, flaniert sie über den dunklen Schulhof. Während hier sonst ausgelassener Kinderlärm zu hören ist, legt sich in einer Nacht wie heute eine wohltuende Ruhe über die Wiese.
Nachdem sie die hohen Schuhe ausgezogen hat, benetzt das feuchte Gras ihre Füße.
Je kleiner der Eingang des Schulgebäudes wird und je weniger Licht zu ihr vordringt, desto mehr wird sie von der Dunkelheit verschluckt. Einzelne Sterne funkeln am Nachthimmel. Das schwache Licht des Halbmonds fällt punktuell auf die Buchen, die den Schulhof überragen.
Während sie gedankenverloren über die Wiese schlendert und das Gelächter sowie die Musik aus dem Schulhaus kaum noch ihr Ohr erreichen, bemerkt sie etwas Seltsames hinter sich. Ein Rascheln im Gras. Die Schritte verraten, dass es zwei Menschen sein müssen. Unheimlich.
Rebecca verschränkt die Arme vor der Brust und schließt den Blazer enger um ihren Körper. Ein zögerliches Umdrehen. Sie erkennt die schlanken Umrisse von Cedric und Linus. Mit jedem Schritt verringern sie den Abstand.
Als Rebecca stehen bleibt, um die Heels anzuziehen, wird sie von beiden eingeholt. Da die Lichter im Schulgebäude nur schemenhaft auszumachen sind, kann sie niemand hier beobachten.
Die Zwölftklässler bleiben stehen und schauen zu, wie sie umständlich in die eng sitzenden Schuhe schlüpft. »Können wir Ihnen helfen, Frau Peters?«, fragt Linus fürsorglich.
Ohne auf seinen Kommentar einzugehen, fragt sie: »Was wollt ihr, Jungs?«
»Ein bisschen frische Luft schnappen«, antwortet Cedric. »Und was machen Sie hier draußen?«
»Frische Luft schnappen.«
Ein Lächeln umrahmt seinen Mund.
»Müsst ihr nicht im Schulhaus sein und die Gäste bewirten? Also wenn ich eure Tutorin wäre, würde ich euch flinke Beine machen, darauf könnt ihr wetten!«
»Und wie würden Sie das anstellen, Frau Peters?« Ist Cedric etwa so ein verdammter Till Eulenspiegel, der alles wortwörtlich versteht? Auf seine Frage hin zieht sie die Stirn in Falten und verengt die Augen. Was bildet sich dieser überhebliche Kerl ein? Sie einfach so zu necken!
Rebecca will sich gerade umdrehen und dem Umfeld dieser Halbstarken entkommen, da ergreift Cedric ihr Handgelenk. Sie fährt innerlich zusammen und schluckt am dicken Kloß vorbei, der ihre Kehle spannt. Mit einem starren Blick quittiert sie seine unpassende Aussage, doch er setzt noch einen drauf: »Zeigen Sie uns, wie sie uns Beine machen würden!« Die Selbstherrlichkeit, die in seinen Augen aufblitzt, ist nicht zum Aushalten. Noch immer umfasst er ihr Handgelenk, während Linus danebensteht und nicht weiß, ob er seinen Freund stoppen oder abwarten soll.
Cedrics Händedruck drückt sich in Rebeccas Fleisch.
»Was soll das?« Der Griff um ihr Handgelenk lockert sich. Dann gibt Cedric sie frei; aber nicht, ohne dabei doof zu grinsen.
»Du müsstest über das Knie gelegt werden«, knurrt Rebecca, allerdings mehr zu sich selbst. Unfassbar, dass sie sich von ihm provozieren lässt. Na warte, Freundchen!
Wieder dreht sie sich zum Gehen weg, da wird sie erneut grob am Handgelenk angefasst. Ob er ihren finsteren Blick bemerkt, den sie ihm wie einen Giftpfeil entgegenschleudert?
»Wollen Sie mich wirklich übers Knie legen? Ich wüsste zu gern, wie sich das anfühlt«, gibt er zurück, feixt teuflisch und lässt Rebecca los.
Wieder geht sie wenige Meter, doch die beiden holen sie schneller ein, als ihr lieb ist. Offenbar gefällt sich Cedric darin, sie bis aufs Blut zu reizen.
Langsam findet sie allerdings Gefallen daran, das begonnene Spielchen fortzusetzen. Wer weiß, wie weit ihn sein jugendlicher Leichtsinn treibt.
Über dem Gespräch bemerkt Rebecca nicht, wie weit sie sich vom Schulhaus entfernt haben. Ständig wollte sie ihren Schülern ausweichen, ist aber nur tiefer in die düsteren Ecken des Gebäudes geraten. An einer Wand, die rechts und links durch Sträucher verdeckt wird, halten sie an.
»Zeigen Sie uns jetzt, wie Sie mich über das Knie legen?«, greift Cedric den roten Faden wieder auf.
»Ts«, entfährt es ihr pikiert. »Verratet ihr mir im Gegenzug, warum ihr mir gefolgt seid?«
Wie zwei mysteriöse Gestalten positionieren sich die Schüler ihr gegenüber und sie kann gar nicht so schnell reagieren, wie sie von Cedric gegen das Gemäuer gedrückt wird, wo sie hart auftrifft. Sofort arbeitet sich die Kälte an ihrem Rückgrat hoch. Sein Gesicht schwebt schattenhaft nah vor ihrem und sie fängt wieder dieses selbstgefällige Lächeln ein. Linus steht wie ein böser Dämon hinter ihm und wirkt aufgrund der Finsternis vollkommen in Schwarz gehüllt.
Cedric nähert sich verlockend Rebeccas Gesicht. Wie eine Feder kitzeln seine Lippen über ihren Mund, während seine Augen sie fokussieren und sie gebannt darauf wartet, womit er weitermacht.
Mit der Handfläche fährt er an ihrer Wange entlang, dann Richtung Schläfe und Ohr. Er erweckt den Eindruck, mit seinen Augen durch sie hindurchsehen zu wollen. Die Düsternis, die ihn umgibt, verleiht ihm etwas Mystisches, das sie nicht ergründen kann.
»Wollen Sie nicht vielmehr«, flüstert er nah an Rebeccas Gesicht in ihr Ohr, »lieb sein, anstatt mich bestrafen zu wollen?«
Kommt gar nicht infrage! Sie versucht sich aus seinem drängenden Zugriff zu befreien, wird jedoch an der Schulter erneut gegen die Wand gepresst. Mit geweiteten Augen und schwer atmend, spürt sie, wie sich die Kälte ihres Rückens bemächtigt.
Was ist mit diesem Burschen los? Hat er sie eben noch gegen die Mauer gestoßen, streichelt er nun zärtlich über ihren Arm. Wieso hält er nicht inne, mit den Fingern von ihrem Hals aus zuerst ihr Kinn und danach die Lippen nachzuzeichnen?
Rebecca versteht nicht, worauf das Ganze hinauslaufen soll. Noch geheimnisvoller erscheint Linus, der sie lediglich anblickt und erst, als Cedric sie an der Wange berührt, seine Finger über ihren Arm wandern lässt. Sie vergisst unter den sanften Berührungen schlichtweg, wie Cedric sie vorhin zur Weißglut gebracht hat, weil ihre Sinne auf einmal hellwach sind.
Überall sind Hände, die auf Erkundungstour gehen. Einer von beiden schiebt ihr den Blazer über die Schultern und lässt ihn unbedacht zu Boden sinken.
Weil der Moment gerade so bizarr ist, fühlt sie sich betäubt und verharrt reglos am Fleck. Ihre Hände pressen sich gegen die Hüfte und sie wagt nicht, Cedric irgendwo zu tangieren. Sein undurchdringliches Gesicht schwebt so dicht vor ihrem, dass Rebecca ein herbes Parfum in die Nase steigt und seine Lippen jede Sekunde auf die von ihr treffen werden.