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С широко закрытыми глазами \/ Traumnovelle. Уровень 2

Артур Шницлер
С широко закрытыми глазами / Traumnovelle. Уровень 2

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Fridolin ließ unmutig ihre Hand los. «Und wenn an jenem Abend», sagte er dann, «zufällig ein anderer an deinem Fenster stehen konnte. Ihm konnte das richtige Wort einfallen. Zum Beispiel —», er dachte nach, welchen Namen er nennen sollte.

«Ein anderer. Er hätte sagen können, was er wollte – es hätte ihm wenig geholfen[15]. Und wenn es nicht du gewesen bist, der vor dem Fenster stand» – sie lächelte zu ihm auf —, «dann konnte wohl auch der Sommerabend nicht so schön sein.»

Er verzog spöttisch den Mund. «So sagst du in diesem Augenblick, so glaubst du vielleicht in diesem Augenblick. Aber —» Es klopfte. Das Dienstmädchen trat ein. Sie meldete, die Hausbesorgerin aus der Schreyvogelgasse war da, den Herrn Doktor zum Hofrat zu holen. Ihm ging wieder sehr schlecht. Fridolin ging ins Vorzimmer. Er erfuhr von der Botin, dass der Hofrat einen Herzanfall erlitten. Er fühlte sich sehr übel.

«Du willst fort —?» fragte ihn Albertine. Fridolin antwortete, beinahe verwundert: «Ich muss wohl.» Sie seufzte leicht.

«Es ist hoffentlich nicht so schlimm», sagte Fridolin, «bisher haben ihm drei Centi Morphin immer noch über den Anfall geholfen.» Das Stubenmädchen hat den Pelz gebracht. Fridolin küsste Albertine ziemlich zerstreut. Er eilte sich.

Zweites Kapitel

Auf der Straße musste er den Pelz öffnen. Es war plötzlich Tauwetter. In der Luft wehte ein Hauch des Frühlings. Von Fridolins Wohnung in der Josefstadt war es kaum eine Viertelstunde in die Schreyvogelgasse. Da war das Allgemeine Krankenhaus. So stieg Fridolin bald die Treppe des alten Hauses in das zweite Stockwerk. Er zog an der Glocke. Doch merkte er: Die Tür war nur leicht zugemacht. Er ging durch den Vorraum in das Wohnzimmer. Er sah sofort, dass er zu spät kam. Die grün verhängte Petroleumlampe warf einen matten Schein über die Bettdecke. Darunter lag regungslos ein schmaler Körper. Das Antlitz des Toten war überschattet. Doch Fridolin kannte es so gut. Er konnte es ganz deutlich sehen: Hager, runzlig, mit dem weißen, kurzen Vollbart, den häßlichen weißbehaarten Ohren.

Marianne war die Tochter des Hofrats. Sie saß am Fußende des Bettes wie in tiefster Ermüdung. Es roch nach alten Möbeln, Medikamenten, Petroleum, Küche. Auch roch es ein wenig nach Kölnisch Wasser und Rosenseife. Irgendwie spürte Fridolin auch den süßlichen Geruch dieses blassen Mädchens. Es war noch jung. Seit Monaten, seit Jahren verblühte es langsam in schwerer Hausarbeit, anstrengender Krankenpflege und Nachtwachen.

Als der Arzt kam, hat sie den Blick zu ihm gewandt. Doch sah er sie kaum, ob ihre Wangen sich röteten wie sonst, wenn er erschien[16]. Sie wollte aufstehen. Aber Fridolins Handbewegung verwehrte es ihr. Sie nickte ihm mit großen, aber trüben Augen einen Gruß zu. Er trat an das Kopfende des Bettes, berührte mechanisch die Stirn des Toten. Dann senkte er mit leichtem Bedauern die Schultern. Er steckte die Hände in die Taschen seines Pelzrockes. Dann warf er den Blick auf Marianne. Ihr Haar war reich und blond, aber trocken. Der Hals war wohlgeformt und schlank, doch nicht ganz faltenlos. Und die Lippen waren schmal.

«Nun ja», sagte er flüsternd, «mein liebes Fräulein. Es ist nicht so unerwartet für Sie.» Sie streckte ihm die Hand entgegen. Er nahm sie teilnahmsvoll. Dann fragte er nach dem Verlauf des letzten tödlichen Anfalls. Sie berichtete sachlich und kurz. Dann sprach sie von den letzten guten Tagen. in denen Fridolin hat den Kranken in diesen Tagen nicht mehr gesehen. Fridolin setzte sich Marianne gegenüber. Er gab ihr tröstend zu bedenken: Ihr Vater hat in den letzten Stunden kaum gelitten. Dann erkundigte er sich.

«Wissen Verwandte schon?» Ja. Die Hausbesorgerin ist schon auf dem Weg zum Onkel. Und jedenfalls kommt bald Herr Doktor Roediger, «Mein Verlobter», setzte sie hinzu. Sie blickte Fridolin auf die Stirn statt ins Auge.

Fridolin nickte nur. Er ist Doktor Roediger zwei oder dreimal hier im Hause begegnet. Der überschlanke, blasse, junge Mensch mit kurzem, blondem Vollbart und Brille. Er war Dozent für Geschichte an der Wiener Universität. Marianne sähe besser aus, dachte er, wenn sie seine Geliebte wäre. Ihr Haar wäre weniger trocken, ihre Lippen röter und voller[17]. Wie alt konnte sie sein? fragte er sich weiter. Als ich zum ersten Mal zum Hofrat gekommen bin, vor drei oder vier Jahren, war sie dreiundzwanzig. Damals lebte ihre Mutter noch. Sie war heiterer. Hat sie nicht eine kurze Zeit Gesangsunterricht genommen? Also diesen Dozenten heiratet sie bald. Warum tut sie das? Verliebt ist sie gewiss nicht in ihn. Und viel Geld hat er vielleicht auch nicht. Was wird das für eine Ehe werden? Nun, eine Ehe wie tausend andere. Warum kümmert es mich? Es kann wohl sein, dass ich sie nie wieder sehe. Denn nun habe ich in diesem Haus nichts mehr zu tun. Ach, wie viele Menschen habe ich nie mehr wiedergesehen. Aber sie standen mir näher als sie. Diese Gedanken gingen ihm durch den Kopf. Marianne begann von dem Verstorbenen zu reden. Also ist er wirklich erst vierundfünfzig Jahre alt gewesen? Freilich. Vielen Sorgen und Enttäuschungen hat er bereitet. Die Gattin litt immer. Und der Sohn hat ihm so viel Kummer bereitet! Wie? Hatte sie einen Bruder? Gewiss. Sie hat es dem Doktor doch schon einmal erzählt. Der Bruder lebte jetzt irgendwo im Ausland. In Mariannens Kabinett hing ein Bild. Er hat im Alter von fünfzehn Jahren gemalt. Es stellte einen Offizier dar. Der Vater hat immer getan, als er das Bild überhaupt nicht sieht. Aber es war ein gutes Bild. Der Bruder konnte es schon unter günstigem Umständen weiterbringen[18]. Wie erregt sie spricht, dachte Fridolin. Wie glänzen ihre Augen! Fieber? Wohl möglich. Sie ist magerer in der letzten Zeit geworden.

Sie sprach immer weiter. Aber ihm schien, als wusste sie gar nicht recht, zu wem sie sprach. Oder sie sprach zu sich selbst. Zwölf Jahre war der Bruder nun fort vom Haus. Ja, sie war noch ein Kind. als er plötzlich verschwand. Vor vier oder fünf Jahren zu Weihnachten kam die letzte Nachricht von ihm aus einer kleinen italienischen Stadt. Sonderbar, sie hat den Namen vergessen. So redete sie noch eine Weile gleichgültige Dinge fast ohne Zusammenhang. Sie schwieg einmal und saß nun stumm. Der Kopf war in den Händen. Fridolin war müde und noch mehr gelangweilt. Er wartete sehnlich, dass jemand, die Verwandten oder der Verlobte kam. Das Schweigen war im Raum. Es war ihm, als schwieg der Tote mit ihnen. Und mit einem Seitenblick auf ihn sagte Fridolin: «Jedenfalls, ist es gut, Fräulein Marianne, dass Sie nicht mehr zu lange in dieser Wohnung bleiben müssen. Ihr Bräutigam erhält wohl bald eine Professur.

An der philosophischen Fakultät liegen die Verhältnisse in dieser Beziehung günstiger als bei uns.» – Er dachte daran. Vor Jahren wollte er auch eine akademische Laufbahn machen. Aber er entschied sich für die praktische Ausübung seines Berufes. Und plötzlich fühlte er sich viel geringen gegenüber Doktor Roediger. «Im Herbst ziehen wir um», sagte Marianne, «er hat eine Arbeit in Göttingen.»

«Ah», sagte Fridolin. Er wollte eine Art Glückwunsch anbringen. Aber das schien ihm wenig angemessen in diesem Augenblick und in dieser Umgebung. Er warf einen Blick nach dem geschlossenen Fenster. Und ohne vorher um Erlaubnis zu fragen, öffnete er beide Flügel und ließ die Luft herein. Sie ist noch wärmer und frühlingshafter geworden. Als er kam wieder ins Zimmer, sah er Mariannens fragende Augen. Er trat näher zu ihr und bemerkte: «Die frische Luft tun Ihnen hoffentlich wohl. Es ist geradezu warm geworden, und gestern nacht» – er wollte sagen: fuhren wir im Schneegestöber von dem Ball nach Hause. Aber er formte rasch den Satz um und ergänzte: «Gestern Abend lag der Schnee noch einen halben Meter hoch in den Straßen.»

Sie hörte kaum. Ihre Augen wurden feucht. Große Tränen liefen ihr über die Wangen. Und wieder verbarg sie ihr Gesicht in den Händen. Unwillkürlich legte er seine Hand auf ihren Kopf und strich ihr über die Stirn. Er fühlte, wie ihr Körper zitterte. Sie schluchzte kaum hörbar zuerst, allmählich lauter, endlich ganz ungehemmt. Sie rutschte vom Sessel und lag Fridolin zu Füßen. Sie umschlang seine Knie mit den Armen und presste ihr Antlitz daran. Dann sah sie zu ihm mit weit offenen, schmerzlich-wilden Augen. Sie flüsterte heiß: «Ich will nicht fort von hier. Auch wenn Sie niemals wiederkommen, wenn ich Sie niemals mehr sehen soll. Ich will in Ihrer Nähe leben.»

 

Er war mehr ergriffen als erstaunt. Denn er hat es immer gewußt, dass sie in ihn verliebt war. Oder er hat sich das eingebildet.

«Stehen Sie doch auf, Marianne», sagte er leise. Er beugte sich zu ihr. Dann richtete er sie milde auf und dachte: natürlich ist auch Hysterie dabei. Er warf einen Seitenblick auf den toten Vater. Ob er nicht alles hört, dachte er. Vielleicht ist er scheintot? Vielleicht ist jeder Mensch in diesen ersten Stunden nach dem Tod nur scheintot —? Er hielt Marianne in den Armen. Aber zugleich küsste er beinahe unwillkürlich ihre Stirn. Es kam ihm selbst ein wenig lächerlich vor.

Flüchtig erinnerte er sich an einen Roman. Er hat ihn vor Jahren gelesen. Es geschah da, dass ein ganz junger Mensch am Totenbett der Mutter von ihrer Freundin verführt war. Eigentlich er war vergewaltigt. Im selben Augenblick musste er seiner Gattin denken. Er wusste nicht warum. Bitterkeit gegen sie stieg in ihm auf. Ein dumpfer Groll war gegen den Herrn in Dänemark mit der gelben Reisetasche auf der Hotelstiege. Er zog Marianne fester an sich. Doch fühlte er nicht die geringste Erregung. Eher sah er den Anblick des glanzlos trockenen Haares. Er konnte den süßlichfaden Geruch ihres Kleides spüren. Nun ertönte die Glocke draußen. Er fühlte sich wie erlöst. Er küsste Marianne die Hand rasch, wie in Dankbarkeit. Er ging. Es war Doktor Roediger. Er stand in der Tür mit Überschuhen, einen Regenschirm. Er hatte einen ernsten Gesichtsausdruck. Die beiden Herren nickten einander ganz vertraut zu. Dann traten sie beide ins Zimmer. Roediger drückte Marianne seine Teilnahme aus. Fridolin begab sich ins Nebenzimmer. Er musste die ärztliche Todesanzeige fassen. Er drehte die Gasflamme über dem Schreibtisch höher. Und sein Blick fiel auf das Bildnis des weißuniformierten Offiziers. Er sprang mit geschwungenem Säbel einem unsichtbaren Feind entgegen.

Mit dem ausgefüllten Totenschein trat Fridolin wieder in den Nebenraum. Am Bett des Vaters saßen die Brautleute. Ihre Hände verschlungen ineinander. Wieder klingelte die Türglocke. Doktor Roediger stand auf und ging öffnen. Er sagte Marianne fast unhörbar: «Ich liebe dich.» Fridolin antwortete nur. Aber er sprach Mariannens Namen nicht ohne Zärtlichkeit aus. Roediger trat wieder mit einem älteren Ehepaar ein. Es waren Mariannens Onkel und Tante. Sie haben einige Worte gewechselt. Das kleine Zimmer sah plötzlich wie von Trauergästen überfüllt aus. Fridolin fühlte sich überflüssig. Roediger hat ihm zur Tür geleitet. Er hat einige Dankesworten und die Hoffnung baldiger Wiederbegegnung ausgedrückt.

15Er hätte sagen können, was er wollte – es hätte ihm wenig geholfen. Он бы мог сказать, что хотел – но ему бы это мало чем помогло.
16Doch sah er sie kaum, ob ihre Wangen sich röteten wie sonst, wenn er erschien. – Но он едва взглянул на нее, не покраснели ли ее щеки, как обычно, при его появлении.
17Marianne sähe besser aus, dachte er, wenn sie seine Geliebte wäre. Ihr Haar wäre weniger trocken, ihre Lippen röter und voller. – Марианна выглядела бы лучше, подумал он, если бы была его любовницей. Ее волосы были бы менее сухими, а губы – более румяными и полными.
18unter günstigem Umständen weiterbringen. – продолжать при благоприятных обстоятельствах…
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